Ausblick (1984)

Der Wunsch der Menschen, sich fortzubewegen, ist so alt wie der Mensch selbst. Anfangs nur mit seinen beiden Beinen vergrößerte er seinen Lebensraum im Laufe der Zeit mit anderen Hilfsmitteln: dem Tier und der Kutsche. Da die Mobilität mit der Benutzung der Hilfsmittel stieg und dadurch die Beziehungen zu anderen Landesteilen vermehrt wurden, reichten diese Hilfsmittel bald nicht mehr aus. Handels- und Personenverkehr forderten bessere Straßen und schnellere Verbindungen.

An dieser Stelle setzte um die Wende des 18. auf 19. Jahrhunderts die Entstehung der Eisenbahnen ein, die die unbequeme und langsame Kutsche auf den Fernverbindungen ablöste. Sie hatte nur noch Zubringerdienste zu leisten, und die zusätzliche Verbreitung der Nebenbahnen schränkten ihren Wirkungskreis immer mehr ein.

Diese Entwicklung hielt bis etwa 1918 an, als das Ende durch den Ausgang des ersten Weltkrieges abrupt herbeigeführt wurde und den Bau weiterer Eisenbahnlinien fast gänzlich zum Erliegen brachte. Reparationszahlungen an die Siegermächte schwächten die einzelnen Eisenbahnverwaltungen dermaßen, daß die Länderbahnen von Baden, Bayern, Hessen, Mecklenburg, Oldenburg, Preußen, Sachsen und Württemberg sich zur Deutschen Reichsbahngesellschaft vereinigen mußten. In diese Zeit fällt auch der Fortschritt in Sachen Straßenbau und die Entstehung von Kraftomnibus und -wagen.

In der Folgezeit erfuhren die Linien keine wesentlichen Veränderungen, die Weiterführung beschränkte sich lediglich auf Modernisierung und Anpassung an die gestiegenen Bedürfnisse; das Auto war gerade erst im Begriff, Statussymbol zu werden.

Während des dritten Reiches wurde dann begonnen, die Standbeine der Bahn anzusägen: Ausbau der Straßen, vor allem der Autobahnen, und verstärkte Weiterentwicklung des Kraftfahrzeuges; die Vorbereitungen zum zweiten Weltkrieg begünstigten diese Entwicklung wesentlich.

Das Ende des zweiten Weltkrieges bot dann auch ein verheerendes Bild: Zerstörung aller wichtigen Bahnhöfe und Strecken; völliger Stillstand über mehrere Monate hinweg.

Aus diesem Chaos entstand die Deutsche Bundesbahn, die innerhalb kürzester Zeit die Fahrwege wieder freilegte und passierbar zu machen versuchte. Sie hat als einzige Eisenbahn in Europa und als einziger Verkehrsträger in Deutschland die Kosten für die Beseitigung der Kriegsschäden an den baulichen Anlagen und Fahrwegen selbst tragen müssen. Dies hatte zur Folge, daß Neubeschaffungen von notwendig gewordenen Personen- und Güterwagen nur bedingt ausgeführt werden konnten, was u.a. die Zunahme des Kraftwagenverkehrs nach sich zog. Der Schuldenberg bis 1994 bestehenden Deutschen Bundesbahn ist teilweise auf diese Kriegskosten zurückzuführen.

Die allgemeinen Fragen, die bei Erörterung des Problems Eisenbahn und Kraftfahrzeug immer den Grundton angeben, lassen sich in einem zusammenfassen, nämlich ob die Bedingungen, unter denen diese beiden Konkurrenten arbeiten, gleich sind, oder ob der eine stärker vorbelastet ist als der andere.

Diese Frage muß gerade von der Eisenbahn aus deshalb in den Vordergrund gerückt werden, weil das Problem Eisenbahn und Kraftfahrzeug oft nur als ein solches zweier an sich gleicher Transportunternehmen betrachtet wird. Das ist es aber nicht. Es handelt sich hier nicht nur um den Ausgleich zweier Beförderungsmittel, sondern um ein Problem der gesamten Wirtschaft, um eine Frage von grundlegender Bedeutung nicht nur für die Verkehrsbedingungen, sondern darüber hinaus für die Lebensbedingungen der Industrie, der Umwelt und nicht zuletzt der des Menschen.

Der Grund für die so weitgehende Bedeutung liegt darin, daß die Eisenbahn, woran oft nicht gedacht wird, nicht nur ein einfaches Transportmittel ist, sondern darüber hinaus noch eine große Anzahl von Aufgaben für die Wirtschaft erfüllt. Diese Aufgaben belasten die Bundesbahn neben ihrer eigentlichen Beförderungsaufgabe. Sie hat finanzielle Lasten im Interesse der Allgemeinheit übernommen, die eine Erhöhung der Beförderungspreise bewirken.

Die erste derartige im Interesse der Allgemeinheit von der Eisenbahn übernommene Sonderlast ist die Transportpflicht. Ihr steht auf seiten des Kraftfahrzeugs keinerlei entsprechende Verpflichtung gegenüber. Die Transportpflicht zwingt die Eisenbahn, auch unwirtschaftliche und unerwünschte Transporte zu übernehmen und darüber hinaus bauliche Einrichtungen wie Schuppen, Abfertigungsgebäude, Rampen u.dgl. auch auf Vorrat z.B. für Spitzenleistungen und Saisonverkehr zu halten; diese Pflichten und Ausgaben kennt das Kraftfahrzeug nicht. Diese Sonderbelastung der Bundesbahn ist schwer in Geld zu schätzen. Sie wirkt sich aber über die Unterhaltungskosten auf die Gestaltung des Beförderungspreises aus. Einen kleinen Anhalt dafür, wie hoch die Belastung ist, gibt vielleicht die Zahl, daß die Bahn ständig für einen Verkehrszuwachs von ungefähr 30% gerüstet ist, von vornherein also nur mit etwa 70%iger Auslastung verkehrt.

Erwerb, Ausbau und laufende Unterhaltung der Fahrbahn ist ebenfalls nicht gleichmäßig auf beide Transportmittel verteilt. Wird von dem Erwerb des Grund und Bodens für die Fahrbahn abgesehen, weil Neuerwerb nur noch in beschränktem Maße in Betracht kommt, so bleibt, daß die Eisenbahn die laufenden Gesamtkosten für Bau und Unterhaltung selbst und allein aufbringen muß. Demgegenüber steht die Tatsache, daß die Mineralöl- und die Kraftfahrzeugsteuer nur einen Bruchteil des Straßenbaus und der Unterhaltung decken. Straßen und Wasserwege werden zum Großteil auf Kosten von Bund, Ländern und Gemeinden gebaut und unterhalten. Sonderabgaben für die Zerstörung der Straßen durch schwere Lastkraftwagen werden nicht erhoben. Landschaftsverbrauch und Umweltbelastungen werden ebenfalls durch Straßenbau verursacht. Dieser Verbrauch wird sich erst später in Geld messen lassen, wenn Zerstörung und Verbrauch so weit fortgeschritten ist, daß mit erheblichen Aufwendungen ein lebenswerter Zustand wieder hergestellt werden muß.

Ein weiterer Punkt ist, daß der Staat laufend neue Autobahn- und Straßenverbindungen anlegt, während die Bundesbahn auf einem Streckennetz fährt, das ein Alter von annähernd 120 Jahren erreicht hat. Investitionen fließen fast ausschließlich dem Straßenbau zu, was dazu beiträgt, daß das Kraftfahrzeug wesentlich verbilligt wird und einen hohen Grad an Flexibilität erhält.

Ebenso muß die Bahn die Pensionen und die Renten ihrer Beamten und der ehemaligen Reichsbahner anderer, meist osteuropäischer Bahnverwaltungen, die heute in der Bundesrepublik leben, bezahlen. Beamte der Verkehrspolizei und der Straßenverwaltung werden vom Staat unterhalten.

Der Nahverkehr auf der Schiene ist eine soziale Aufgabe. Daher kann und darf die Bahn keine kostendeckenden Tarife verlangen. Dennoch ist der Bund als Auftraggeber und Eigentümer nicht bereit, die dabei entstehenden Kosten zu übernehmen.

Diese Probleme haben zur Folge, daß die Bahn Jahr für Jahr bei stillstehender Verkehrsleistung ihre Marktanteile verliert. Bei Anhalten dieser Entwicklung werden ab 1988 mehr Schulden entstanden sein, als durch den Wert der Bahnanlagen gedeckt sind: die Bahn wäre bankrott!!

Dem entgegenzuwirken versucht die Bahn durch Stillegungen, Abbau von Personal und Ausmusterung von Fahrmaterial Herr über die Lage zu werden. Allein durch Stillegungen sollen 7000 km Personen- und 6000 km Güterschienen eingespart werden, die Brenzbahn wäre davon ebenfalls bedroht.

Die Frage nach der Zukunft der Bahn darf aber nicht nur aus dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit gestellt werden. Allein das Faktum, daß die Bahn das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist, müßte rein finanzielle Überlegungen in den Hintergrund treten lassen. Ebenso sollten die sozial-politischen Aspekte nicht vergessen werden. Die Bahn ist das einzige Verkehrsmittel, das für die gesamte Bevölkerung zugänglich ist. Daher sollte jede Strecke, die vorhanden ist, in den Gesamtverkehr einbezogen werden. Busse müssen Zubringer werden und nicht der Schiene die Fahrgäste entziehen. Bahnhöfe sollten Knotenpunkte für den öffentlichen Verkehr werden und nicht Haltestellen am Rande der Städte und Gemeinden.

All dies spielt und spielte sich im Hintergrund des Betriebsgeschehens der Brenzbahn ab und berührt diese mehr oder weniger intensiv.

Diese Berührungspunkte zeigen sich vermehrt in den letzten Jahren, seit das Personal durch Automaten ersetzt wird; Schnaitheim ist ein deutliches Beispiel. Auch vor Stillegung ist die Brenzbahn nicht sicher: 1975 wurde in Erwägung gezogen, die gesamte Strecke der Spitzhacke auszuliefern. Zum Glück wurde bereits ein Jahr später nur noch der jüngere Teil und noch etwas später der Teil von Giengen nach Ulm als unrentabel bezeichnet, so daß heute keiner mehr von einer Stillegung spricht. Keiner mehr? Bis Giengen wurde die Strecke modernisiert, aber der Rest? Dessen Stillegung wird nicht mehr lange auf sich warten lassen. Spätestens wenn die Autobahn vom Bodensee bis Würzburg befahrbar sein wird, dürfte dies der Fall sein. Aktionen der Kommunalpolitiker, die Strecke zu elektrifizieren und/oder gar doppelgleisig ausbauen zu wollen, erscheinen als absurd und retten die Strecke bzw. erhöhen deren Verkehrsaufkommen nicht!

Daß diese "Aktionen" an den Haaren herbeigezogen erscheinen, zeigt sich doch z.B. an den verkauften Fahrkarten der Brenzbahn.

Nicht nur der Fahrkartenverkauf ist zurückgegangen, sondern auch das Güteraufkommen. Das ist auch nicht verwunderlich, sind doch gerade die Komunalpolitiker diejenigen, die diesen Rückgang z. T. verursachten. Haben nicht sie mit ihrer Politik den Ausbau von Straßen in- und außerhalb der Ortschaften veranlaßt? Haben nicht sie Parkhäuser in die Stadtzentren gebaut und, speziell in Heidenheim, den Busbahnhof so gelegt, daß jeder normale Bürger sich eher des Kraftfahrzeugs bedient, als sich solchen Schikanen auszusetzen.

Da erscheinen Aktionen, die Brenzbahn zu elektrifizieren "und" doppelgleisig auszubauen eher wie Alibifunktionen denn als ehrliche Versuche, den Straßenverkehr wieder auf die Schienen umzulenken, um der Flut der Blechlawinen und Umweltsünden Herr zu werden. Oder aber es ist der Gedanke, die Eisenbahn als Retter in der Not aufrecht zu erhalten, falls Energie- und Umweltverbrauch ein Maß erreicht haben, die das Kraftfahrzeug für den Einzelnen nicht mehr erschwinglich macht und somit auf die Eisenbahn zurückgegriffen werden kann?

Bereits 1925 wurden Versuche unternommen, der entstehenden Konkurrenz die Stirn zu bieten. Dabei wurde durch gezielten Einsatz von Triebwagenfahrten und sogenannten kleinen Dampfzügen versucht, dem Kraftfahrzeug entgegenzutreten. Die kleinen Dampfzüge, die durch geringe Wagenzahl und Bemannung die Kosten senken sollten, wurden häufiger eingesetzt und sollten den kleinen Verkehr dort aufsaugen, wo die Durchführung großer Züge mit zahlreichen Wagen nicht lohnend war. Leider werden bei der heutigen Bundesbahn die Triebwagen immer mehr außer Dienst gestellt, dafür aber keine neuen erworben. Für den erwähnten Ringverkehr wären Triebwagen sehr von Vorteil: hoher Nutzungsgrad und geringere Unterhaltungskosten gegenüber Lokomotivbespannten Zügen. Dabei denke ich vor allem an die als Ersatz für die Schienenbusse VT 95 und 98 konstruierten und geplanten Triebwagen der Reihe 627 und 628.

Im Vordergrund der Planungen von Bundesregierung und Bundesbahn, das Schienennetz um 6000 bis 8000km zu kürzen und den Schienenverkehr auf einen bestimmten Bereich, den unternehmerischen Kernbereich, zu beschränken, stehen betriebswirtschaftliche Erwägungen. Begründet wird dieses Ausdünnungskonzept damit, daß der Schienenverkehr in der Fläche, damit sind die Gebiete außerhalb der Ballungszentren gemeint, wegen mangelnder Nachfrage nicht gerechtfertigt sei.

Wenn die Bundesbahn behauptet, daß der Busbetrieb die einzige Möglichkeit einer wirtschaftlichen Verkehrsbedienung in der Fläche sei, dann verschweigt sie, daß mit den oben erwähnten Fahrzeugen und Betriebsformen auch auf der Schiene ein preiswerter Verkehr durchgeführt werden kann. Der Kostenvergleich des modernen Triebwagens und des Busses zeigt deutlich, daß ersterer nur geringfügig höhere Kosten verursacht, ohne Wegekosten sogar billiger fährt:

Kosten je gefahrenen km in DM

lokbes N-Zug

VT 628

Bus

Wegekosten (WK)

Betrieb/Unterhaltung

Abschreibung

10.60

9.30

1.40

6.20

 4.00

0.50

?

2.30

0.30

Summe

21.30

10.70

2.60

Summe ohne Wegekosten

10.70

4.50

2.60

Fahrgastzahlen

528

351

103

Kosten je Platz mit WK

0.042

0.030

?

Kosten je Platz ohne WK

0.020

0.013

0.025

Dabei muß noch bedacht werden, daß, wenn der Bus keine Fahrgäste mehr aufnehmen kann, ein neues Fahrzeug mit Fahrer eingesetzt werden muß. Bei lokbespannten Zügen und Triebwagen brauchen dagegen nur Personenwagen oder Einheiten ohne erneuten Personalaufwand an den schon bestehenden Zugverband angehängt zu werden.

Aus dem oben geschriebenen lassen sich folgende Punkte ableiten, die nach einer gewissen Anlaufzeit dem öffentlichen Nahverkehr eine Überlebenschance geben könnten:

  1. Spezielle Straßenbenutzungsgebühr für alle Privatfahrzeuge, die die öffentlichen Straßen befahren oder der Bahn dementsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, um den krassen Unterschied zwischen Straßen- und Schienenverkehr zu verringern.
  2. Verbundsystem in ganz Baden-Württemberg als Grundlage für eine freizügigere Benutzungsmöglichkeit des öffentlichen Verkehrs einführen. Eine spätere Ausbaumöglichkeit für ganz Deutschland bzw. eventuell Europa müßte dabei beachtet werden.
  3. Ausbau der Bahnhöfe zu öffentlichen Nahverkehrszentren, von denen alle Busse strahlenförmig in die entlegenen Ortschaften abfahren und ankommen. Das bedingt
  4. keine Parallelfahrten der Busse entlang den bestehenden Eisenbahnlinien.
  5. Für alle Busse und Bahnen Taktzeit einführen. In Verbindung damit
  6. wo die Möglichkeit besteht, für Busse und Bahnen Ringverkehr durchzuführen, können größere Gebiete untereinander besser verbunden werden.
  7. Modernes Wagenmaterial bzw. Triebwagen müssen zum Einsatz gebracht werden, um die Kosten so gering wie möglich zu halten.

Daß es sehr schwer sein wird, diese Punkte durchzuführen, zeigt schon die Tatsache, daß Automobilvereine und -clubs in großer Zahl vorhanden sind, wogegen die Eisenbahn keine derartigen Vereinigungen, abgesehen von der Gewerkschaft der Eisenbahner, vorzuweisen hat. Die wenigen Hobbyeisenbahner können hier nicht gezählt werden, da sie sich mit der politischen Seite des Themas Eisenbahn nicht oder nur wenig auseinandersetzen.

Zum Schluß noch etwas zum Nachdenken: Der Stuttgarter Bahnhofsturm ist ein Punkt, an dem sich Ortsfremde gut orientieren können, ebenso werden die Blicke durch die dortige Uhr angezogen. Daran ist nichts Besonderes zu finden. Doch jedesmal, wenn der Ortsfremde sich an dem Turm orientieren will, sieht er aber nicht nur den Turm, sondern auch den guten Stern auf allen Straßen; Werbung auf den Gebäuden der Bundesbahn für deren größten Konkurrenten: das Kraftfahrzeug!