D'r Gähsmetzger, s' Boyerle
An der Strecke waren einige Felder und Gärten der anliegenden Bewohner. Natürlich gehörte zu einer Wiese auch eine Gänseweide. So kam es vor, dass die Lokomotive ihren lauten Pfiff ertönen ließ und die Gänse erschreckte. Die so aufgeschreckten Gänse flogen in Richtung Zug und auch unter dessen Ränder – so bekam der Gähsmetzger seinen Namen.
Nachdem die gesamte Strecke durch die Bayerische Staatsbahn betreut und fast die gesamte Strecke auf bayerischem Staatsgebiet lagen, wurde die Strecke und der Zug danach genannt: Boyerle oder Bayerle.
D'r Gähsmetzger oder s' Boyerle
Als in der Zeit um 1890 die Strecken der wichtigsten Eisenbahnlinien in Bayern und Württemberg gebaut waren, wurden Überlegungen im Landtag der beiden Königreiche angestellt, die einwohnerschwachen Landstriche mit der Eisenbahn zu erschließen. So entstanden auf beiden Seiten die gesetzlichen Grundlagen für den Bau von Nebenbahnen.
Auf Grundlage dieser Gesetzgebung wurden in der Folgezeit sowohl in Bayern als auch in Württemberg das vielfach bekannte und heute zu weiten Teilen nicht mehr existierende Nebenbahnnetz aufgebaut. Jeder Interessierte – Bürgermeister, Unternehmer, Landwirte – hatten auf Grund der bis dahin gebauten Staatsbahnen erkannt, welch wirtschaftlicher Wandle sich in den an der Bahn liegenden Ortschaften vollzogen hat.
So ist es nicht verwunderlich, dass diese Personen sich vielfach zu Interessengemeinschaften zusammenschlossen und auf die neue gesetzliche Grundlage hin beim Staat nach einer Eisenbahnlinie in, über oder durch ihren Ort mittels Petitionen forderten.
Einfach und billig in Anschaffung und Unterhaltung sollten diese Nebenbahnen sein und die anliegenden Gemeinden mußten den notwendigen Grund und Boden kostenfrei zur Verfügung stellen. Es entstanden so viele Strecken mit einer Spurweite von 750 mm, 1000 mm oder aber auch mit der Normalspur 1435mm. Eigentümer war nicht immer der Staat, es entwickelten sich auch viele Privatbahnen.
Der Bau des Gähsmetzgers oder, wie er auch genannt wurde „s‘ Boyerle“, geht aber bereits auf das Jahr 1874 zurück, als die Grundlagen für die Brenzbahn erarbeitet wurden: „Der Bahnhof Sontheim […] ist so berechnet, daß eine spätere Abzweigung nach Gundelfingen thunlich ist [...]“ wurde von der volkswirtschaflichen Kommission der Abgeordneten im Landtag von Württemberg über die Planung berichtet.
Allerdings lagen da noch einige Jahre zwischen der Fertigstellung des Sontheimer Bahnhofes und dem Bau der Strecken von da nach Gundelfingen. Und so konnte endlich am 30. April 1911 die Verbindung erstellt werden. D‘r Gähsmetzger war eine der wenigen grenzüberschreitenden Nebenbahnen jener Zeit.
Die Strecke wurde von der Bayerischen Staatsbahn betreut. Dementsprechend ist in Gundelfingen ein Lokschuppen mit Versorgungsmöglichkeiten erstellt worden und das fahrbare Material, Loks und Wagen, kamen aus dem Bestand der Bayerischen Staatsbahn: Ein Glaskasten – eine bayerische Nebenbahnlokomotive für den Betrieb mit einer Person – mit einem Gepäckwagen und einem Plattform-Personenwagen 3. Klasse war die Standardausrüstung. Es kam schon mal vor, dass die an der Plattform befindliche Handbremse des Wagens angezogen war, der Zug sich nicht in Bewegung setzen konnte und der Lokführer fluchend nach der Ursache suchend um den Zug lief …
„Einfach und billig“ waren auch die Schienen und Schwellen der Strecke. Es wurden ausschließlich gebrauchte Materialien, übriggeblieben beim Umbau größerer Strecken, verwendet. Das machte sich natürlich auch im Betrieb bemerkbar, denn die Schienennägel hatten vielfach in den veralteten Schwellen keinen Halt und findige Lausbuben aus dem Ort hatten das bald erkannt: Sie zogen die Nägel mit bloßen Händen heraus, woraufhin das Boyerle entgleiste.
D‘r Gähsmetzger zuckelte so 45 Jahr mehrmals täglich zwischen Sontheim und Gundelfingen hin und her und überdauerte den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Wie bei vielen Strecken dieser Art hat der Strukturwandel hin zum Auto, Lkw und Bus dann den Betrieb in Frage gestellt. Die Wirtschaftlichkeit ließ nach dem Zweiten Weltkrieg zu wünschen übrig und so fuhr am 2. Juni 1956 der letzte planmäßige Zug der Strecke. Sontheim-Gundelfingen war eine der ersten Strecken, die dem Nebenbahnsterben zum Opfer viel.
Die Gleise wurden noch als Umgehungsstrecke genutzt, doch wurden sie bald abgebaut und der in Sontheim bestehende Teil lange Zeit noch als Abstellgleis für unterschiedliche Güterwagen verwendet. Letztendlich wurde alles von der Hauptstrecke getrennt und heute ist die Gemeinde Sontheim stolze Besitzerin von ca. 500 Meter teils überwuchertem Gleis des Gähsmetzgers.
Zahlen zur Strecke
Eröffnung: | 30. April 1911 |
Stillegung: | 2. Juni 1956, 15. 9. 1964, und endgültig 2005 |
Länge: | 8.37 km, davon 5,964 km auf bayereischem und 2,406 auf württembergischem Gebiet |
Spurweite: | 1435 mm |
Besonderheit: | Grenzüberschreitender Bahnverkehr zwischen Württemberg und Bayern, Verbindung zweier Hauptbahnen Betriebsdienst Bayerische Staatsbahn |