Der Grenzbote 1876

Der Grenzbote schrieb zur Eröffnung des zweiten Teils der Brenztalbahn von Heidenheim nach Ulm:

 

Der Grenzbote 1876

 

Weitere Bahnprojekte

Die verschiedenen Eisenbahnprojekte auf einen Blick. Nicht enthalten sind die Varianten von 1858, die zur Herstellung einer Verbindung nach Nördlingen aufgestellt wurden.

2. Abschnitt Heidenheim-Ulm

Nachdem der Weiterbau der Brenzbahn beschlossen war, wurden die Oberbauarbeiten der Strecke im Grenzboten vergeben.

Der erste Teil der Brenztalbahn erfüllte die vielen und großen Hoffnungen, die auf sie gesetzt wurden. Obwohl die Linie zwölf Jahre lang Sackbahn gewesen ist, war der obere Teil des Brenztales an den Weltverkehr angeschlossen, und eine bequeme, rasche und billige Verbindung für den Post-, Personen- und Güterverkehr war geschaffen worden.

 

Für den Durchgangsverkehr in Heidenheim brachte die Eröffnung der Bahnlinie eine gewaltige Veränderung mit sich. Die schwer beladenen Fuhrwerke aus Ulm, Augsburg, Stuttgart, Basel, Nürnberg und anderen Orten, die größtenteils in der oberen Vorstadt vor den Gutwagenhöfen der Stadt, dem Ochsen und dem Hasen, über Nacht gestanden hatten und teilweise durch die Wagenspanner umgeladen worden waren, blieben allmählich aus, und nur der Frachtfuhrmann nach Ulm bekam noch Aufträge.

 

Nachdem am 1. November 1864 die Strecke Rottenburg-Eyach (12,97 km) eröffnet wurde, waren die Teile der Linien nach dem Gesetz vom 17. November 1858 noch übrig, die entsprechende Verhandlungen mit den Nachbarstaaten erforderten. Die Regierung war sich dessen wohl bewußt. Wenn es auch für die in Württemberg noch zu bauenden Bahnen meist nur eine den einheimischen Interessen zusagende Richtung gab, so erschien es kaum ratsam, die Linien gesetzlich festzulegen, unbekümmert darum, ob und welche Schwierigkeiten sich den Anschlüssen an die Nachbarbahnen entgegenstellen würden. Die Verhandlungen mit den Nachbarstaaten wurde daher in verstärktem Maße betrieben.

1945 waren alle Eisenbahnbrücken der Brenzbahn von den Nazis zerstört worden. Die Firma Voith, mit Hanns Voith an der Spitze, baute die Brücken wieder auf und so konnte bereits wenige Wochen später (am 6. August 1945) der Verkehr nach Aalen wieder aufgenommen werden.

Als es gelungen war, diejenigen Verträge zum Abschluß zu bringen, welche eine freiere Bewegung für den weiteren Ausbau des württembergischen Eisenbahnnetzes gestatteten, gelangte ein Gesetzentwurf über den Bau neuer Bahnlinien an die Stände. Dabei wurden Eisenbahngesetze nur noch auf die kommende Finanzpriode berechnet. Somit sollte ein Bahnnetz mit den folgenden Hauptlinien entstehen:

  • Mergentheim-Crailsheim Aalen-Heidenheim-Ulm-Friedrichshafen als Verbindung zwischen Würzburg und dem Bodensee,
  • Osterburken-Heilbronn-Stuttgart-Rottweil-Tuttlingen-Landesgrenze bzw. Bruchsal-Mühlacker-Pforzheim-Calw-Nagold-Rottweil-Tuttlingen-Landesgrenze als Verbindung in nordsüdlicher Richtung mit der Schweiz,
  • Jagstfeld-Heilbronn-Hall-Crailsheim-Landesgrenze als Verbindung zwischen der Pfalz, Mannheim und Nürnberg,
  • Bruchsal-Mühlacker-Stuttgart-Ulm bzw. Stuttgart-Nördlingen als Verbindung zwischen Frankreich, Baden und Bayern,
  • Ulm-Mengen-Meßkirch bzw. Aulendorf-Pfullendorf-Stockach als Verbindung nach der Schweiz und Frankreich, sowie
  • Tübingen-Hechingen-Sigmaringen-Mengen-Aulendorf-Waldsee-Isny bzw Leutkirch als Verbindung des Südostens mit dem Norden und Nordwesten mit eventuellem Anschluß an Bayern.
Die von der Firma Voith profisorisch reparierten Brücken wurden ein paar Jahre später ausgetauscht. Hier die Brücke über die Brenz zwischen Königsbronn und Itzelberg beim Posten 15.

Daraufhin folgten die Eisenbahngesetze vom 13. August 1865 und vom 16. März 1868, die die obengenannten Linien zu Ausführung bestimmten.

 

Im Zuge der Durchführung der Gesetze gelang es am 12. Dezember 1868, mit Bayern einen Staatsvertrag über den Bau einer Eisenbahnlinie von Crailsheim nach Nürnberg abzuschließen. Anläßlich der Verhandlungen war württembergischerseits der Versuch unternommen worden, die Beseitigung oder Verkürzung der zwölfjährigen Frist des Staatsvertrages vom 21. Februar 1861 zu erlangen, jedoch ohne Erfolg. So dauerte es bis zum 16. März 1872, bis die Regierung die Linie durch einen Gesetzentwurf in Angriff nahm.

 

Die etwas ungünstige Verkehrslage und die nahegelegene bayrische Grenze waren die Ursache dafür, daß die Bahn nicht sofort nach Giengen und Langenau weitergebaut wurde. Obwohl die Giengener bereits am 12. Juni 1861 und am 1. Dezember 1863 durch Eingaben an die Ständeversammlung die Verlängerung der Linie wenigstens bis zu ihrer Stadt erreichen wollten, mußten sie doch noch mehrere Jahre auf den Anschluß warten. So bildete sich gegen Ende des Jahres 1869 eine Eisenbahnkommission zur Betreibung des Weiterbaues der Bahn über Giengen bis Niederstotzingen oder auch bis Langenau. Auch der damalige Oberbürgermeister Heim aus Ulm, Kommerzienrat Lang aus Heidenheim und Fabrikant Emhardt aus Giengen-Gerschweiler versuchten durch eine Eingabe den Weiterbau zu bewirken.

Das die Brenzbahn immer wieder durch exotische Fahrzeuge befahren wird, zeigt diese Aufnahme: V 320 auf der Durchfahrt durch Heidenheim. Die sechsachsige Diesellok ist der Vorläufer der V 160, Serie 215 bis 219, der bis heute noch auf der Strecke anzutreffenden Diesellokomotiven. Karl Schneider, ca. 1962.

Die württembergische Regierung beabsichtigte, die Bahn durch das kostengünstigere Tal zu führen und hatte dadurch zwischen Langenau und Ulm bayrisches Gebiet zu durchqueren. Angesichts der Zwölfjahresfrist waren Verhandlungen mit Bayern unmöglich, und die Regierung wollte beim Scheitern der Verhandlungen die Möglichkeit einer Linienführung von Herbrechtingen über die Alb nach Ulm nicht vergeben. Somit ist verständlich, daß die Bahn nicht weitergebaut wurde.

 

Die Vorarbeiten und Vermessungen dauerten weitere acht Monate, und am 4. November 1872 legte die volkswirtschaftliche Kommission vier Möglichkeiten vor, Heidenheim und Ulm zu verbinden:

 

Die Interessen des zwischen Heidenheim und Ulm liegenden Landesteils.

 

Das Brenztal gehört zu den gewerblich reich entwickelten Gebieten Württembergs. Bis jetzt steht nur der obere Teil dieses Tals bis zu der den Mittelpunkt der industriellen Tätigkeit bildenden Fabrikstadt Heidenheim in Eisenbahnverbindung mit dem württembergischen Bahnsystem in Aalen. Es wiederholt sich im Brenztal dieselbe Erscheinung wie in anderen der Fabrikation gewidmeten mit Wasserkräften reich ausgestatteten Tälern: die Fabriktätigkeit hat in der größeren Fabrikstadt ihren Mittelpunkt, sie verzweigt sich aber, von den technischen und finanziellen Kräften jener geleitet, über das ganze Tal. So auch hier: das ganze Brenztal von Königsbronn bis zur bayrischen Grenze ist eine fortlaufende Reihe von industriellen Anlagen: Eisenindustrie, Wollwarenfabrikation, Baumwollspinnerei, -weberei und -druckerei, Papierfabrikation, Mühlen und Kleingewerbe teilen sich die Wasserkräfte. Die großen Heidenheimer Geschäfte haben ihre Anlagen auch über das benachbarte untere Brenztal verteilt; es ist zu erinnern an die Wollwarenfabrikation von Gebr. Zoeppritz in Mergelstetten und Neubolheim, die Baumwollspinnerei von Neunhöfer in Herbrechtingen, diejenige von Hartmann's Söhnen in Mergelstetten und Herbrechtingen, die Papierfabrik von H. Völters Söhnen in Giengen. In Giengen besteht ferner eine große Fabrik, die ganz einzig in Württemberg und zur Zeit noch beinahe einzig in Deutschland dasteht: Die Wollfilzmanufaktur. Sie hat für den von ihr eingeführten Fabrikationszweig, Wollfilze und die Verarbeitung für Decken, Schuhfabrikation, andere Bekleidungsgegenstände aller Art, einen so enormen Absatz nach ganz Europa, daß das blühende, der gesamten württembergischen Industrie zur Ehre gereichende Geschäft Jahr für Jahr durch Neubauten sich ausdehnt. Im unteren Brenztal sind 7 bedeutende Kunstmühlen mit wöchentlich etwa 5000 Ctr. Mehlversand, hauptsächlich nach Ulm. Daneben eine große Zahl von kleineren Gewerben. In Giengenhaben die beiden großen Fabriken (ßapier- und Wollfilz-) und die Mühlen (Getreide-, Säg-, Gips-, Öl- usw.) 223 Pferdekräfte an Wasser und 124 an Dampfmaschinen. Im unteren Brenztal von Giengen bis Sontheim und Bächingen sind es Wasserwerke 678 Pferdekräfte und Dampfmaschienen 124 Pferdekräfte. Giengen hat eine der bedeutendsten Schrannen des Landes. Der Verkehr in dem dicht bevölkerten und durch die Arbeit eng verbundenen Tale ist ein sehr lebhafter, besonders zwischen der Hauptstadt Heidenheim und ihren Arbeitervorstädten; der Güterverkehr, Bezug wie Absatz, wendet sich in erster Linie der bestehenden Bahn nach Aalen, und weiterhin dem württembergischen Unterlande, dem Rheingebiet zu; in zweiter Linie folgt der Verkehr dem Tale abwärts und geht nach dem fruchtreichen bayrischen Donaugebiet und weiter in Richtung Augsburg u.s.w. Dazu kommt der Verkehr über Langenau nach Ulm. Angesichts dieser Voraussetzung für ein immer noch reicher zu entwickelndes gewerbliches Leben, welchem unbenützte Wasserkräfte zur Verfügung stehen, für ein dichtbevölkertes Tal, ist an dem Bedürftnis einer Eisenbahn, welche auch das untere Brenztal mit den Landesbahnen, mit der bayrischen Donaubahn und ferner mit Ulm in Verbindung setzen wird, nicht der geringste Zweifel.

 

Außer dem unteren Brenztal kommen in Betracht: Niederstozingen mit bedeutender Landwirtschaft, Bierbrauerei und sehr ausgiebigen Torflagern und Langenau mit 3600 Einwohnern, vielen Mühlen, bedeutender Landwirtschaft, Kleingewerben, Fruchtschranne.

 

I. Die Talbahn.

 

Diese geht von Heidenheim über Giengen im unteren Brenztal bis Sontheim/Brenz, mit Bahnhöfen für alle Hauptorte, wendet sich dann über Niederstotzingen nach Langenau, wo der Bahnhof südlich vom Orte angelegt wäre, sofort über Unterelchingen, Oberelchingen und Thalfingen im Donautal nach Ulm. Entfernung 50,7 Kilometer, Gesamtsteigen und Fallen der Bahn nur 79,9 Meter, Baukosten per Kilometer 117140 fl., zusammen 5940000 fl., Steigung im Maximum 1:300, resp. 1:275.

 

II. Bergtalbahn.

 

Sie unterscheidet sich von der ersteren durch das Mittelstück: von Herbrechtingen an geht die Bahn direkt über die Alb an Bissingen und Setzingen vorbei bis Langenau, von wo sie mit I. zusammenfällt. Die Entfernung ist nur 39,1 Kilometer, Gesamtsteigen und Fallen 183 Meter, Steigungsmaximum 1:100 auf 15 Kilometer, Kosten per Kilometer 144530 fl., Gesamtbaukosten 5650000 fl..

 

III.Die Talberglinie

 

Diese weicht am meisten von der vorigen ab, wo jene Berg, da hat diese Tal und umgekehrt. Sie hat mit der ersten (Tal-)Linie die Richtung gemein bis Langenau und überschreitet erst von hier aus die Alb, lediglich um das bayrische Gebiet zu umgehen. Die Bahn ersteigt die Höhe bis nördlich Albeck und zur Kesselbronner Höhe mit 1:100, und fällt von da mit bedeutenden Bauschwierigkeiten, höchst ungünstigen Krümmungsverhältnissen, fast durchweg mit Contrekurven von 1400 Fuß, mit neuen Festungstunnels dicht dicht neben denen der Stuttgarter Bahn mit 1:70 zum Bahnhof Ulm. Die Entfernung ist die größte von allen vier Projekten, nämlich 54,5 Kilometer, Gesamtsteigen und Fallen 247 Meter, Steigungen von 1:100 auf 9625 Meter und von 1:70 auf 5870 Meter, Kosten per Kilometer 145580 fl., Gesamtbaukosten 7860000 fl.

1935 wurde die größte Brücke der Brenzbahn komplett erneuert. Die Maschinenfabrik Esslingen lieferte dafür eine Fachwerkkonstruktion, die auf Holzgerüsten seitlich der alten Brücke zusammengebaut wurde.
In einer Betriebspause wurde der alte Überbau herausgehoben und der neue auf die Widerlager geschoben. Die Bilder dokumentieren den Arbeitsablauf des Auswechselns. Unbekannt, 1938.

IV. Die Berglinie

 

ist eine Kombination von II. und III.; sie geht mit der Linie II. über die Alb bis Langenau, bleibt mit dem Bahnhof nördlich ziemlich weit von dieser Stadt und wendet sich dann überAlbeck und Kesselbronn nach Ulm. Entfernung 39,9 Kilometer, Summe des Steigens und Fallens 290,5 Meter, Steigungsmaximum 1:100 auf 18567 Meter, 1:70 auf 5870 Meter, Kosten per Kilometer 178112 fl., Gesamtbaukosten 7110000 fl.

 

Das Projekt I., die Tallinie, befriedigt in vollkommener Weise die volkswirtschaftlichen Interessen des Brenztals, bietet bei Sontheim/Brenz Gelegenheit zum Anschluß einer Bahn nach Gundelfingen, berücksichtigt Niederstozingen; es ist bezüglich der Terrainverhältnisse das günstigste, natürlichste; die Zustimmung Bayerns ist dabei notwendig; das Projekt ist andererseits länger als die über die Alb gehenden Linien.

 

Die Berglinie II ist die kürzeste aller Linien, sie weist die geringsten Baukosten per Kilometer und im Ganzen auf; sie steht bezüglich der Steigung, der zu überschreitenden absoluten Höhe, der Gradienten, zwar hinter der Tallinie zurück, aber übertrifft in allen diesen Punkten weit die Linien, welche erst zwischen Langenau und Ulm die Alb überschreiten; sie hat die geringsten Bau- und Betriebskosten von allen; sie berührt bayrisches Gebiet; was aber die Ansprüche des zwischenliegenden Landesteils betrifft, so wird sie nur der Stadt Langenau und dem Brenztale bis Anhausen gerecht, Giengen hätte auf den nächstgelegenen Bahnhof sechs Kilometer; was die zu überschreitende Alb in die Waagschale zu werfen hätte, kann, das wird unbedingt anerkannt werden müssen, dagegen nicht in Betracht kommen.

Verladen der alten Brücke auf Eisenbahnwaggons.
Brückenprobe. Dieses Bild enthält noch eine Besonderheit: Eine württ. G 12, später als Baureihe 58 5 geführt. Von dieser Gattung sind nur wenige Fotografien erhalten geblieben.

Die Talberglinie III berücksichtigt das Brenztal, Niederstotzingen und Langenau, aber sie kettet an diese Vorteile in ihrer zweiten Hälfte, zur Umgehung des bayrischen Gebiets, die Übersteigung der Alb in raschem Aufsteigen von 470 Meter (Langenau) bis zu 562 Meter (Kesselbronn), um sofort wieder und zwar mit ungünstiger Steigung nach Ulm zu gelangen; sie ist die längste und nach Bau- und Betriebskosten weitaus teuerste.

 

Die reine Berglinie endlich, IV., nähert sich bezüglich der Entfernung der zweiten, kürzesten Linie, aber sie teilt mit der vorigen die Ersteigung der höchsten absoluten Höhe und die starken Gradienten, sie hat die höchsten kilometrischen Baukosten und steht in den Gesamtbaukosten der dritten Linie am nächsten; sie umgeht das bayrische Gebiet; sie dient von allen Linien dem Gebiete zwischen Heidenheim und Ulm am wenigsten.

 

Das bayrische Gebiet

 

Ein stichhaltiger Grund, das Donautal zu verlassen, läge überall nicht vor, wenn nicht die Grenzverhältnisse die Frage vorlegen würden, ob es denn nicht etwa tunlich wäre, das bayrische Gebiet zu vermeiden. Tunlich ist nun allerdings diese Umgehung, aber mit einer sehr erheblichen Steigerung der Bau- und Betriebskosten, einer Verschlechterung der Bahn für alle Zeiten.

 

Der Abtransport der alten Brücke. Unbekannt, 1935.

Nur wenn alle Mittel der Verständigung vergeblich erschöpft wären, würde es rätlich erscheinen können, zu dem Mittel der Umgehung zu schreiten; so steht es aber wohl nicht. Man sollte denken, daß solche Umgehungsbahnen, welche keinem Teile einen Vorteil, ja beiden Teilen, wenn auch in verschiedenem Maße, Schaden bringen, heutzutage zu den überwundenen Standpunkten gehören. Die württ. Volksvertretung wird nicht dazu mitwirken wollen, hier ein wenig rühmliches Denkmal der Uneinigkeit zweier Nachbarstaaten zu errichten. Die ganze Richtung unserer Zeit führt ja dazu, im Verkehr die Schranken zu brechen; mit welcher Berechtigung wollte man hier dem ganzen künftigen Verkehr die lästigen Fessel einer ungerechtfertigten, unnatürlichen Umgehung auferlegen? Ein Interesse Bayerns, Württemberg in dieser Ecke des bayrischen Staats nicht durchzulassen, ist überall nicht denkbar. Im Gegenteil würden ja die bayrischen Orte Elchingen und Thalfingen zu einer Eisenbahn kommen. Ein etwaiger WiderspruchBayerns ließe sich also wohl bloß aus der Kombination mit anderen Anschlüssen erklären.

 

Zu den allgemeinen Gründen, welche die Verweigerung des Durchgangs heutzutage unhaltbar machen müssen, kommt nun noch das neue Verhältnis durch die Reichsverfassung. Der Artikel 41 der deutschen Reichsverfassung gilt auch für Bayern. In demselben finden sich zwei Momente, welche eine Versagung des Durchgangs durch das Nachbargebiet so gut wie unmöglich erscheinen lassen. Die Eisenbahn Heidenheim-Ulm ist nach allem bisher Vorgetragenen doch unbedingt eine solche, welche im Interesse des gemeinsammen Verkehrs für notwendig zu erachten ist. Das zweite Moment ist das strategische. Wenn es auch nicht Sache des Berichtes sein wird, in eine Erörterung dieses Punktes einzugehen, so leuchtet doch schon auf den ersten Blick ein, daß die Bahn, welche der Reichsfestung ihre Verbindung mit dem Hinterlande sichert, nicht vor den Toren der Festung die Höhe ersteigen und sich zwischen den Befestigungen hindurch mit einer starken Rampe wieder hinabsenken soll, einen zweiten Festungstunnel unter demWall durch hart neben den ersten legend, sondern im Interesse der Verteidigung Deutschlands den natürlichen, ebenen, von allen Hindernissen freien Weg im Donautale einzuschlagen hat.

Die gesamte Situartion des Umbaues. Unbekannt 1935.

Die Kommission stellt folgende Anträge:

  1. die Ziff. 4 des Art. 2 des Gesetzentwurfes zu genehmigen unter der in den Motiven enthaltenen Voraussetzung, daß die Inangriffnahme des Baus auf diejenige Bahnstrecke in der Nähe von Heidenheim zu beschränken sei, auf deren Trassierung die Frage des Bahnbaus über fremdes oder ausschließlich württembergisches Gebiet keinen Einfluß ausübt;

  2. der K. Regierung die Bitte auszusprechen: sie wolle bei der in Aussicht gestellten Vorlage über die Richtung der Bahn die volkswirtschaftlichen Bedürfnisse des unteren Brenztales in der Art berücksichtigen, daß die Bahn durch das untere Brenztal, über Giengen und Brenz nach Langenau und von Langenau nach Ulm im Donautale gebaut werden;

  3. die K. Regierung zu bitten, sie wolle zu Erreichung der Zustimmung Bayerns zu dem Baue der Bahn über bayrisches Gebiet im Donautal (Elchingen) und vom Brenztale nach Gundelfingen die Unterhandlungen fortsetzen und der Kammer von dem Endresultate Nachricht geben.

Wegen der großen Schwierigkeiten, welche die Linie über die Alb sowohl in Beziehung auf den Bau wie auf den Betrieb der Bahn darstellte, während die Tallinie nach allen Richtungen die günstigsten Verhältnisse darbot, entschied sich am 11. Dezember 1872 die Ständeversammlung für die Tallinie. Dieser Entscheidung ging noch die Mitteilung des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten voraus, wonach der Vertrag mit Bayern über die teilweise Benützung bayrischen Gebiets abgeschlossen war. Unverzüglich wurde die genauere Linie festgelegt und ausgesteckt.

 

Die Bahn selbst bot von Heidenheim aus bis zum Einlauf in Ulm wenig Schwierigkeiten. Lediglich kurz nach Heidenheim wurde sumpfiger Moorboden angetroffen, und an den Hängen zwischen der Donau und der Böfinger Halde erwiesen sich größere Arbeiten als erforderlich. Durch die Trockenlegung der betreffenden Abschnitte konnten diese Hindernisse beseitigt werden.

Abschließende Arbeiten auf der Brücke.

Die zuständigen Bauämter waren:

  1. Giengen mit Bauinspektor Maret,
  2. Brenz mit Bauinspektor Wundt,
  3. Langenau mit Sektionsinspektor Lambert,
  4. Hochbauamt Heidenheim mit Bauinspektor Zeller und später mit dem
  5. Hochbauamt Langenau mit Sektionsinspektor Fischer.

In Ulm stellten sich dem Einlauf teils durch die natürlichen Verhältnisse, teils durch die Konkurrenz mit einer Anzahl von anderen Bahnen und teils durch die Festungseigenschaften Ulms ganz außerordentliche Schwierigkeiten in den Weg. So entstanden im wesentlichen zwei Möglichkeiten, die Bahn in den erst 1868 umgebauten Bahnhof Ulm einzuführen. Die eine Ansicht, vertreten durch den Oberingenieur und Technischen Referenten der Brenzbahn, Morlok, wollte die Schienen so einführen, daß sie sich, von Heidenheim aus betrachtet, zunächst links an den Bahnsteig des Bahnhofes angeschlossen hätten. Die andere Ansicht, vertreten durch die Ingenieure, die den Ulmer Bahnhof bearbeitet hatten, wollte eine Unterführung der Stuttgarter Bahn so, daß die Heidenheimer Bahn auf den Bahnhof in der Mitte zwischen der Stuttgarter und der Blaubeurer Bahn ankommt.

Typischer Nahverkehrzug auf der Brenzbahn in den 1980er Jahren. 1984.

Lebhafter Widerspruch des Oberingenieuers Morlok gegen den letzteren Vorschlag blieb ohne Erfolg. Dieser wurde vielmehr genehmigt und demgemäß die Einführung über die Veitsbrunnenäcker und in einem Tunnel unter dem Kienlesberg und der Stuttgarter Bahn hinweg verwirklicht. Der Tunnel wurde später in einen entsprechend tiefen Einschnitt mit einer Brücke für die Stuttgarter Bahn verwandelt.

 

Mit der Ausführung dieses Projektes verbanden sich viele Umständlichkeiten, insbesondere weil hiermit auch die Rangier- und Gütergleise von der Ost- auf die Westseite des Bahnhofes gerückt werden mußten. So hatte der ohnehin zu kurze Bahnhof infolge der unterirdischen Einführung der Brenzbahn einen Teil der ihm zugedachten Länge, der Fläche der Veitsbrunnenäcker, zu entbehren.

 

Weitere Schwierigkeiten lagen in den Anforderungen der Festung, die lange Verhandlungen mit der Festungsdirektion erforderten. Anfänglich wünschte diese eine Verbindung des Einlaufs der neuen Bahn mit demjenigen der Stuttgarter Bahn, so daß eine weiter Durchbrechung des Festungswalls verhindert worden wäre. Allein dies war aus Bau- und Betriebsgründen unerwünscht: man hätte erst mittels eines tiefen Einschnitts die Höhe der Stuttgarter Bahn außerhalb des Festungswalls erreichen, eine höchst schwierige Verbindung suchen und sofort wieder mit einem starken Gefälle in die Festung einmünden müssen. Es ist bei der selbständigen Einmündung der Brenzbahn geblieben, und dies hat eine Reihe von Bauten erfordert, die großenteils in der Rücksicht auf die Festungseigenschaften begründet waren. Der Eintritt geschah wie bei den anderen Bahnen mittels einer teils festen, 16,5 m langen, teils mit einer verschiebbaren, 3,7 m langen Brücke über den Festungsgraben und einem 22 m langem Doppeltunnel unter dem Festungswall hindurch.

Güterzug von Ulm in Richtung Heidenheim, kurz nach der Herbrechtinger Brücke. 1980.

Innerhalb der Festung waren zwei Hauptstraßen zu überqueren: die Stuttgarter- und die Frauenstraße. Eine niveaugleiche Überquerung hätte den schon durch den Bahnhof selbst stark gehemmten Verkehr noch mehr beeinträchtigt. Eine Überschreitung der beiden Straßen in getrennter Höhenlage erschien unausweichlich, und so wurde durch teilweise Verlegung der Straßenkörper und Bauten die Überführung der Bahn beschlossen.

 

Die Überführung der Stuttgarter Straße geschah mit einer Brücke von 11,5 m, diejenige über die Frauenstraße mit zwei Öffnungen von 13 und 17 m Weite. Auch wurde hier eine Verbindungslinie zum noch anzulegenden Güterbahnhof vorgesehen.

 

Der zweite Teil der Brenzbahn war 1876 vollendet und wurde von Heidenheim nach Niederstotzingen am 25. Juli 1875, von da nach Langenau am 15. November 1875 und nach Ulm über eine provisorische Einführung, nach dem Konzept Morloks, am 5. Januar 1876 eröffnet. Somit war die Bahn drei Monate und zwei Tage nach dem frühestmöglichen Termin, dem 3. Oktober 1875, fertig. Die geschilderten Schwierigkeiten im Bahnhof Ulm verzögerten die endgültige Fertigstellung um ein weiteres Jahr.