Grenzbote 1876

Ulm, 7. Jan. Ein gelungener Festtag, der Tag der Eröffnung der bis hierher ausgeführten Brenzbahn liegt hinter uns. Die städtischen Kollegien wollten diese Eröffnung, welcher so viele Schwierigkeiten vorausgegangen waren, nicht klanglos vorübergehen lassen. Auf ihre Einladung hatte der Herr Minister der auswärtigen Angelegenheiten v. Mittnacht die Freundlichkeit, seine Theilnahme an der Feier zuzusagen, und so wurde diese am heutigen Tage ausgeführt. Am Morgen begaben sich die Mitglieder der bürgerlichen Kollegien zum Bahnhof, wo sich die geladenen Spitzen der Militär- und Civilbehörden versammelten. Um 10 Uhr 20 Min. traf der Herr Minister der auswärtigen Angelegenheiten v. Mittnacht mit dem Herrn Staatsrath Grafen v. Uxkull-Gyllenband, und die Mitglieder der Generaldirektion der Verkehrsanstalten mit den Sektionsvorständen v. Böhm und v. Hofacker ein. Nach kurzem Aufenthalt gieng der Zug mit den Festgästen (außer den genannten Herren und den Mitgliedern der bürgerlichen Kollegien  waren die Mitglieder der Handels- und Gewerbekammer und des Handels- und Gewerbevereins geladen) nach Giengen. In Langenau begrüßten die städtischen Kollegien den Herrn Minister. Die Bahnhofsgebäude waren überall beaggt und bekränzt. In Giengen war halbstündiger Aufenthalt, die städtischen Behörden daselbst hatten zur Begrüßung eine kleine Kollation veranstaltet. Da man sich auf der Hinfahrt von der Solidität des Bahnbaus überzeugt hatte, gieng es in raschem Flug zurück nach Ulm, wo im festlich dekorierten Wartesaal. Kl. ein einfaches Mal bereit stund. Der Stadtvorstand Oberbürgermeister v. Heim brachte dabei einen Toast auf Se. Majestät den König aus, unter dessen erhabener, durch landesväterliche Fürsorge ausgezeichneter Regierung die Stadt Ulm Mittelpunkt von 6 Eisenbahnlinien geworden sei, von denen sie erneuerten Wohlstand hoffen dürfe. Der Bürgerausschußobmann Schott toastierte auf Ihre Majestät die Königin. Se. Excellenz der Herr Minister der auswärtigen Angelegenheiten und der Verkehrsanstalten v. Mittnacht brachte folgenden Trinkspruch auf die Stadt Ulm aus:

 

Die Eröffnung einer neuen Bahnstrecke ruft stets ein Gefühl der Befriedigung hervor, wie man es empfindet, bei endlicher Erreichung eines lange angestrebten Ziels, bei glücklicher Vollendung eines mühevollen Werkes von allgemeiner Bedeutung. Nach dem Maße aufgewendeter Mühe und Zeit, nach Größe und Zahl der überwundenen Schwierigkeiten darf die Befriedigung, das Ziel erreicht zu haben, heute eine mehr als gewöhnliche sein. Das Verhältniß zu einem Nachbarstaate, die Einführung der Bahn in einem befestigten Platz, die Lage und Beschaffenheit des hiesigen Bahnhofs, welche die freie Bewegung innerhalb des Platzes manchfach hemmt, diese und andere Momente haben Schwierigkeiten geschaffen, die nur ein Zusammenwirken aller die verschiedenen berechtigten Interessen vertretenden Faktoren, nur mit Aufwendung von Zeit und Geduld der Reihe nach überwunden werden konnten. Das große Publikum über den jeweiligen Stand der Angelegenheiten auf dem Laufenden zu erhalten, gieng nicht an, weil man Differenzen, über welche Verhandlungen schweben, insolange noch Aussicht auf freundliche Beilegung besteht, aus guten Gründen nicht an die Oeffentlichkeit bringt. Das große Publikum hat denn freilich schließlich die Geduld verloren, was wir ihm nicht verübeln wollen, und kurz resolviert: vor der hohen Bedeutung der betheiligten Interessen müssen alle entgegenstehende Hindernisse zurücktreten und die Eröffnung der Bahn in wenigen Wochen ist offenbar möglich. Leider konnte auf diesen einfach angenehmen Standpunkt die Eisenbahnverwaltung sich nicht stellen, weil sie nun eben einmal nicht überall, wo sie möchte und wo es an sich möglich ist, Schienen legen darf und weil sie stets ganz genau wußte, wo und warum ihr weiterzukommen nicht möglich war. Endlich aber, drei Monate nach den frühest möglichen Zeitpunkt der Eröffnung, sind alle Hindernisse beseitigt, alle Schwierigkeiten überwunden, alle kollidierenden Interessen abgefunden, und ich freue mich ganz besonders, heute der Militärverwaltung gerade, die solche Interessen zu vertreten hatte, öffentlich dafür noch danken zu können, daß sie durch Ueberlassung ihres Terrains, welches wir nach Jahresfrist zurückgeben werden, die allerdings nur provisorische Gewinnung des Bahnhofs im richtigen Zeitpunkt uns möglich gemacht hat. Die Stadt Ulm ihrerseits darf sich heute nicht bloß der Eröffnung einer neuen Bahn freuen, sondern auch der bevorstehenden Beseitigung eines lange vor Erbauung dieser Bahn eingefundenen Uebelstandes, der Verkehrsstörung durch die Lage des Bahnhofs. Die nun gesicherte Bahnhofsüberbrückung ist nicht, wie neuerdings wieder berichtet wurde, eine Auage der Militärverwaltung, der man sich wohl oder übel hätte fügen müssen, sie ist ein Werk freier Uebereinkunft zwischen Staat und Stadt, und ich glaube sagen zu dürfen, daß dabei die Verwaltung nicht einseitig und knickerig verfahren ist, sondern dem Interesse der Stadt Ulm, die groß wird und sich fühlt, zu deren Wachsthum aber auch die Verkehrsstraßen des Staats das Ihrige beigetragen haben, in anständiger Weise Rechnung getragen hat. Es ist deßhalb auch zu hoffen, daß Klagen, wie man sie vor Vereinigung dieser Angelegenheit da und dort hören konnte, die zweitgrößte Stadt des Landes werde von der Eisenbahnverwaltung etwas vernachläßigt, in Zukun verstummen werden. Sie werden für die Interessen der Stadt Ulm bei der Regierung und der Eisenbahnverwaltung stets ein offenes und geneigtes Ohr finden und wir werden diesen Interessen auch in Zukun zu dienen um so eher in der Lage sein, als, wie ich im Grund habe anzunehmen, ein Ansinnen, das nach dem Geräusche in den Zeitungen täglich von uns erwartet werden müßte, das Ansinnen, unserer Staatsbahnen uns zu entäußern, dieses stattlich aufgewachsenen Kindes jahrelanger Pege, Sorge und Opfer, in Wirklichkeit nicht an uns gestellt werden wird. So lade ich Sie denn ein, mit mir das volle Glas zu leeren auf das Wachsen, Gedeihen und Blühen der guten Stadt Ulm. Sie lebe hoch! Mit lebhaem Beifall und großer Befriedigung wurde diese Rede aufgenommen und eingestimmt in den Dankestoast, welchen der Gemeinderath Kreisgerichts-ßrokurator Schall auf den Herrn Minister der auswärtigen Angelegenheiten ausbrachte. Mit unverkennbarem Wohlwollen gegen die Stadt habe der Herr Minister die Verhandlungen der Einführung der Brenzbahn geleitet und die Hebung der so lange schwebenden Beschwerde der Bahnhofüberbrückung ermöglicht. Ihm den tiefgefühlten Dank der ganzen Stadt auszusprechen, darin fühlen sich die anwesenden Ulmer einig. Es folgten noch Toaste auf die Vorstände und Mitglieder der K. Behörden der Verkehrsanstalten, auf den Erbauer der Bahn, Oberbaurath v. Morlok, seine Assistenten, die Bau-Unternehmer und Arbeiter; auf ein friedliches und freundliches Zusammengehen mit den Militär- und Civilbehörden. v. Morlok wünschte unter Dankesbezeugung gegen Alle, welche ihn unterstützt, alles Gedeihen der Bahn, die wenigstens so wohlfeil als möglich hergestellt worden sei. Prälat v. Lang toastierte auf die Fernbahn. Gegen Abend entführte der Extrazug wieder die Stuttgarter Gäste. (St.-A.)

 

Ulm, 7. Jan. Trotz der kalten Jahreszeit ist auf nächsten Sonntag ein Aus-ug hiesiger Einwohner nach Heidenheim mittelst Extrazug beabsichtigt. Jeder, welcher Lust hat, kann an der Fahrt, die hin und zurück in 3. Cl. nur 2 M. 20 Pf. kostet, betheiligen. (R.-Z.)