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05.09.22 16:59 Uhr Alter: 2 Jahre
Die Droge Dampf
Von: David Nau, HZ
Die Ulmer Eisenbahnfreunde halten mit viel Herzblut eine 101 Jahre alte Lokomotive in Schuss und bieten einmal pro Monat Fahrten auf der Alb an.

Normalerweise wäre Hans-Karl Kunhäuser an diesem Samstag Mitte August wieder ganz in seinem Element. Die linke Hand am Dampfhebel, die rechte ganz gemütlich ins offene Seitenfenster der historischen Dampflok abgelegt und den Blick nach vorne auf die Schienen gerichtet. Im Sommer steuert der 65-jährige Eisenbahn-Enthusiast die altehrwürdige Dampflok mit dem Erkennungszeichen „75 1118“ und ihre ebenfalls historischen Waggons mindestens einmal pro Monat über die Strecke der Lokalbahn zwischen Amstetten und Gerstetten auf der Alb.

Heute ist aber alles anders, die langanhaltende Hitzewelle macht dem Lokführer und seinen Kollegen vom Verein Ulmer Eisenbahnfreunde einen Strich durch die Rechnung: Weil entlang der Strecke Wiesen, Felder und Wälder knochentrocken sind, ist die Fahrt mit der Dampflok abgesagt. Zu groß ist die Gefahr, dass ein Funken einen Brand auslöst.

Kunhäuser sitzt auf einer hölzernen Bank vor dem Lokschuppen der Ulmer Eisenbahnfreunde, der auf dem Gelände eines ehemaligen Depots der Bundeswehr nahe Amstetten (Alb-Donau-Kreis) steht, und beobachtet mit kritischem Blick, wie eine kleine Diesellok die 12 Meter lange und gut 76 Tonnen schwere Dampflok (Baujahr 1921) aus dem Schuppen herauszieht. „Normalerweise hätten wir gestern Abend schon angefangen, die Lok anzuheizen und hätten sie über Nacht warm gehalten“, erklärt Kunhäuser. Erst dann wäre der Druck im Kessel der 101 Jahre alten Lok hoch genug gewesen, um dreimal die knapp 20 Kilometer zwischen Amstetten und Gerstetten hin- und herzupendeln.

Seit mehr als 40 Jahren engagiert sich Kunhäuser bei den Ulmer Eisenbahnfreunden, seit mehr als 30 fährt er auch die Lok, die er gemeinsam mit seinem Sohn und einigen wenigen weiteren Mitstreitern auch technisch in Schuss hält.

Da geht schon einiges an Zeit für das Hobby drauf, denn die Pflege der Lok ist aufwändig. Immer wieder müssen Teile überholt und repariert werden, zugleich gibt es immer weniger Werkstätten, die sich mit der alten Technik noch auskennen.

„Wir können vieles selbst machen“, sagt Kunhäuser, der zu Hause in Bad Mergentheim unzählige Aktenordner mit technischen Zeichnungen und Beschreibungen alter Loks und Wagen stehen hat. Manche Teile müsse man aber einfach von Profis überholen lassen – und das kostet dann gleich einen ganzen Batzen Geld. Erst kürzlich mussten die Eisenbahnfreunde die Pumpe aufarbeiten lassen, die das Wasser in den Kessel der Lok pumpt. Kostenpunkt: gut 20 000 Euro.

Und auch sonst ist der Verein dringend auf die Einnahmen aus den Fahrtagen angewiesen, da tut ein Ausfall wie jetzt im August richtig weh. „Alleine die Betriebskosten der Lok liegen pro Tag im mittleren vierstelligen Bereich“, sagt Reinhard Mallow, erster Vorsitzender des Lokalbahn-Vereins. Hinzu kommt noch, dass die Kohle, ohne die sich die Lok keinen Millimeter bewegt, immer teurer wird. „Der Preis pro Tonne hat sich mehr als verdreifacht.“ Dabei ist die Nachfrage nach Fahrten auf der kleinen Nebenstrecke durchaus da. „Wir könnten noch deutlich häufiger fahren“, sagt Kunhäuser. Aber: die Ehrenamtlichen fehlen. „Es gibt zu wenig Interessenten, für unser Hobby“, erklärt Vereinsvorsitzender Mallow. Immerhin sind an diesem Samstag drei Jugendliche dabei, die im Rahmen des Kinderferienprogramms bei der Dampflokfahrt mithelfen wollten und jetzt mit Kunhäusers Sohn unter einem alten Kesselwagen stehen und die turnusgemäße Inspektion gezeigt bekommen. „Wir hoffen, dass zumindest einer später vielleicht zurückkommt“, sagt Mallow.

Liebevolle Kleinstarbeit

Und Kunhäuser hofft, die Jugendlichen vielleicht auch von der „Droge Dampf“ abhängig machen zu können: „Wenn man die einmal intus hat, dann ist man süchtig danach“, sagt er und lacht. Für Reinhard Mallow ist nicht nur das Fahren ein Spaß, wichtig sind dem Vereinsvorstand auch Pflege und Erhaltung des historischen Materials. Direkt vor dem Lokschuppen steht das aktuelle Projekt der Eisenbahnfreunde: Ein alter Transportwagen, mit dem die Nazis Panzer an die Front transportierten und der nach dem Krieg bei einer Baufirma Bagger hin und her chauffierte. Für einen Euro übernahmen die Ehrenamtlichen den Wagen und brachten ihn in liebevoller Kleinstarbeit wieder in den Originalzustand, heute kommen noch die letzten Klebebuchstaben an die Seite, dann ist er wieder einsatzbereit.

 

 

Weitere Fahrtage im September

 

 

Wenn es die Trockenheit zulässt, ist die Lokalbahn zwischen Amstetten und Gerstetten am 10. und 11. September wieder unterwegs. Fahrkarten gibt es auf der Internetseite der Lokalbahn unter www.uef-dampf.de Insgesamt gibt es 19 Museumsbahnen im Land teils mit Dampflokomotiven. Einen Überblick gibt es auf der Internetseite der Nahverkehrsgesellschaft des Landes: www.bwegt.de Mit diesem Beitrag endet unsere Sommerreihe.