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20.06.16 18:22 Uhr Alter: 9 Jahre
Bedingt barrierefrei - Land schneidet bei Bundesprogramm zum Bahnhalte-Ausbau schlecht ab
Von: Fabian Ziehe, SWP Ulm
SONTHEIM. Nur drei der 108 vom Bund geförderten barrierefreien Umbauten kleiner Bahnstationen kommen dem Land zugute. Grund sind die Förderkriterien. Sogar ein betoniertes Loch für den Aufzug ist schon da. Als Sontheim mit seinen rund 5500 Einwohnern vor ein paar Jahren einen renovierten Bahnhalt erhielt, baute die Bahn den Schacht, um irgendwann rollend bequem vom Gleis 1, wo Parkplätze und Bahnhofsgebäude liegen, zum Gleis 2 zu gelangen, wo meist die Züge nach Ulm und Aalen abfahren. Seither wartet Sontheim auf den Aufzug. Sie werden noch länger warten.


Der Ort im Kreis Heidenheim stand auf einer Liste von 108 Bahnhalten mit weniger als 1000 Fahrgästen täglich, die ausgebaut werden sollen. Doch Bürgermeister Matthias Kraut und der Gemeinderat nahmen im Mai Abstand vom Vorhaben – und verzichteten auf gut eine Million Euro.

„Das können wir uns nicht leisten“, sagt Kraut. Für die Gemeinde, die finanziell nicht auf Rosen gebettet ist, waren 438 000 Euro Eigenanteil zu viel. „Wir investieren ja nicht einmal in eigene Infrastruktur – der Bahnhof gehört der Bahn.“ Der parteilose Bürgermeister vermutet, dass es anderen Orten ähnlich erging. Das Landesverkehrsministerium hatte 33 Halte beim Programm „Zukunftsinvestitionsprogramm zur Förderung von Barrierefreiheit an kleinen Schienenverkehrsstationen“ (ZIP) angemeldet.

Nun teilte das Bundesverkehrsministerium mit, dass nur drei Vorhaben im Land Geld erhalten: Oberndorf (Kreis Rottweil), Igersheim und Reicholzheim (beide Main-Tauber-Kreis). Zum Vergleich: Auch das Saarland wird drei Mal berücksichtigt – und Hessen, das 25 Halte angemeldet hatte, bekommt für 24 nun Zuschüsse. Hart traf es Sachsen: Von seinen 45 Vorhaben erhalten nur zwei eine Förderung.

Zahlen, die man sich beim Bundesverkehrsministerium nicht erklären kann. Dort lobt man das ZIP – schließlich springt man mit 80 Millionen Euro in die Bresche, wo die Bahn gesetzlich nicht gezwungen ist, selber Aufzüge, Rampen und höhere Bahnsteige zu bauen. Nur: Die Stationsbetreiber – meist die Deutsche Bahn – per Gesetz zum Ausbau zu zwingen, so weit ist man in Berlin nie gegangen. Stattdessen nimmt der Bund durch das ZIP die Länder in die Pflicht: Sie sollten ebenfalls 80 Millionen Euro beisteuern. Obwohl Fördermittel nur an den Bauherrn DB Station & Service gehen können, der zuständigen Tochter des bundeseigenen Bahn-Konzerns.

Auch andere Förderkriterien weckten schon 2015 im Landesverkehrsministerium Unmut – obwohl Minister Winfried Hermann (Grüne) das ZIP prinzipiell als „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet hatte.

„Allerdings können voraussichtlich nur wenige Bahnhalte im Land die Zuschüsse von rund der Hälfte der Baukosten bekommen, da die Kriterien des Programms sehr eng gefasst sind.“ Er behielt Recht.

Das liegt mit daran, dass mit der Beschränkung auf Bahnhalte viele kleine Stationen mit mehr als 1000 Fahrgästen ausschließt, die ebenso auf den Ausbau hoffen. Da zudem der Umbau bis 2018 fertig sein muss, scheitern Vorhaben ohne Vorplanung am Zeitkorsett. Für diesen Kritikpunkt spricht, dass das ZIP mehrfach verlängert werden musste, da Bewerber fehlten.

Nun aber streichen andere Länder deutlich mehr Förderungen ein – was wohl an der Kostenverteilung spricht. Dass Hessen 15 Millionen Euro abgreift, führt Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) darauf zurück, dass das Land letztlich auch den Anteil übernahm, den ihrer eigenen, urspünglichen Planung nach eigentlich die Kommunen hätten zahlen sollen.

Baden-Württemberg blieb beim Eigenanteil. „Das entspricht dem Grundsatz der Sparsamkeit“, sagt ein Sprecher des Landesverkehrsministeriums.

Schon bei Stationen über 1000 Fahrgäste täglich drücke das Land mit einem eigenen Förderprogramm aufs Ausbau-Tempo. „Da gibt es ganz, ganz viele Baustellen, die die Bahn bearbeiten müsste“, erklärt der Sprecher – der Konzern habe 2013 von 650 Stationen in „nicht zeitgemäßem Zustand“ gesprochen.

Die Bahn selber sieht sich schon mit den Bahnhöfen über 1000 Fahrgästen gut beschäftigt: Zwar seien gut Dreiviertel aller Stationen im Land schon barrierefrei, sagt Bahnsprecher.

„Ziel ist aber schon, alle Stationen im Land barrierefrei zu machen.“ Dafür gebe es keinen fixen Zeitplan. Aber man schaffe beim Neubau von Bahnhalten wie in Sontheim schon bauliche Voraussetzungen, um ohne viel Aufwand etwa Aufzüge nachzurüsten.

Beim Landesbehindertenbeauftragten Gerd Weimer provoziert das Empörung: „Die Bahn ist der schwierigste Partner, was Barrierefreiheit angeht“, schimpft er. Auch das Vorgehen des Bundes als Bahn-Eigner bei der ZIP-Förderung sei bezeichnend: „Die Idee war ja prinzipiell richtig.“ Aber Förderkriterien und -zeiträume seien so gewählt, dass kaum Projekte zum Zuge kommen.

Das bestätigt die Chefin des Landesverbands für Menschen mit Körperund Mehrfachbehinderung, Jutta Pagel-Steidl: „Das klingt nicht so, dass man im Bundesministerium mit Überzeugung an das Programm herangegangen ist. Manchmal vermisse ich die Ernsthaftigkeit bei dem Thema Barrierefreiheit.“ Auch der Nürtinger Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel (Grüne) geißelt den Modus des ZIP. „Die Förderbedingungen für Sanierungsmittel sind leider so gestrickt, dass nicht die notwendigsten Maßnahmen angegangen werden, sondern diejenigen, die am schnellsten umgesetzt werden können.“ Statt kurzfristig Geld bereitzustellen brauche es langfristige Förderung. Der Bahnexperte schlägt fünf Jahre infolge je 50 Millionen Euro vor.

Bürgermeister Kraut hofft derweil auf ein Einsehen im Fall Sontheim.

Immerhin habe man schon auf eigene Kosten einen befahrbaren Weg von einer Straße zum Gleis 2 bezahlt, damit Mobilitätseingeschränkte zumindest so den Zug erreichen. Nun dürften sich Bahn und Bund doch auch mal Großzügig zeigen.

 

BMP Bahnhofsmodernisierungsprogramm

Durch das Bahnhofsmodernisierungsprogramm (BMP) werden in die badenwürttembergischen Bahnhöfe seit 2009 und noch bis 2019 rund 138 Millionen Euro investiert. Das Geld dafür legen Bund, Bahn, Land und Kommunen zusammen. Seit dem Jahr 2012 wird gebaut. Dabei steht der barrierefreie Ausbau von Bahnhöfen im Vordergrund.

Ziel ist es, die vollständige Barrierefreiheit im Öffentlichen Personennahverkehr, die das Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) bis 2022 vorschreibt, schon früher zu erreichen.