Lange vorbei die Zeiten, in denen Bahnhöfe zwangsläufig der Bahn gehörten. Derjenige in Herbrechtingen befindet sich beispielsweise im Eigentum einer Gesellschaft, die bei der Entwicklung, der Vermietung und dem Verkauf von Immobilienobjekten und Liegenschaften berät. Und diese Main Asset Management GmbH mit Sitz in Dreieich will sich nun innerhalb eines relativ kurzen Zeitrahmens von sämtlichen Bahnhofsliegenschaften trennen.
So steht es in einem ans Herbrechtinger Rathaus gerichteten Schreiben, in dem auch von konkreten Gesprächen mit Großinvestoren die Rede ist. Die Stadtverwaltung nahm das zum Anlass, den Gemeinderat um grünes Licht für den Kauf des Bahnhofs zu bitten.
Zur Begründung führte Bürgermeister Dr. Bernd Sipple an, das um das Jahr 1874 errichtete und unter Denkmalschutz stehende Gebäude sei Teil der Geschichte Herbrechtingens und gehöre als Kulturgut in öffentliche Hände.
Bestätigt sieht er sich in seiner Einschätzung durch die Stellungnahme des Referats Denkmalpflege beim Regierungspräsidium: „Das Stationsgebäude von Herbrechtingen ist Kulturdenkmal aus wissenschaftlichen und künstlerischen Gründen. Seine Erhaltung liegt insbesondere wegen seines dokumentarischen und exemplarischen Wertes im öffentlichen Interesse.“ Der Beigeordnete Thomas Diem warb ebenfalls dafür, tätig zu werden: „Wenn wir jetzt nicht zuschlagen, dann müssen wir später vielleicht mit anderen Eigentümern verhandeln, zum Beispiel mit einem Fonds, der gleich eine ganze Reihe von Bahnhöfen erwirbt, und das dürfte dann sicher teurer werden als jetzt.“ Das aktuell auf dem Tisch liegende Verhandlungsangebot der Eigentümer beläuft sich Diem zufolge auf 90 000 Euro für das Gebäude. Sollte das Geschäft bis Ende 2016 über die Bühne gehen, wäre im Rahmen des Sanierungsgebiets Lange Straße eine Förderung in Höhe von 60 Prozent der Gesamtsumme möglich.
Vermutlich bei 50 Prozent läge der Zuschuss, was Umbauten im denkmalgeschützten Bereich angeht. Eine erste Kostenschätzung ergab eine voraussichtliche Investitionssumme von 1,5 bis 1,7 Millionen Euro. Hinzu kämen noch rund 500 000 Euro für den Bahnhofsvorplatz. Hierfür werden 150 Euro pro Quadratmeter als zuwendungsfähige Kosten anerkannt.
Nach heutigem Sachstand sollen die Fassade und das Dach erhalten bleiben. Für den Fall einer öffentlichen Nutzung müsste aber ein zweiter Rettungsweg aus dem Ober- bzw. Dachgeschoss installiert werden. Zwei Wohnungen in den oberen Etagen sind derzeit vermietet.
Die Wortmeldungen aus den Reihen des Gemeinderats zeugten von einem großen Maß an Zustimmung, gleichzeitig wurden aber auch Stimmen laut, die auf die Folgekosten hinwiesen. So empfand es Martin Müller (Freie Wähler) als „zu kurz gesprungen, die Bude zu kaufen, nur um dann ein denkmalgeschütztes Gebäude dastehen zu haben“.
Es müsse klar sein, was mit einem für viel Geld sanierten Gebäude anschließend geschehen solle. Generell könne auf Mittel aus dem Sanierungsprogramm nicht verzichtet werden. Matthias Sturm (Freie Wähler) mahnte eine verlässliche Prüfung an, ob der erforderliche Kapitaldienst angesichts des im vergangenen Jahr geschnürten Investitionspakets überhaupt zu leisten sei. Grundsätzlich sei es indes „okay, die Hand drauf zu haben.“ Wie schon beim Herbrechtinger Kloster praktiziert, will Manfred Strauß (CDU) „in kleinen Schritten vorgehen.“ Wenngleich bereits ein großes Aufgabenpaket auf seine Erledigung warte, solle die Verwaltung Nägel mit Köpfen machen, zumal die Stadt nicht im Übermaß über historische Gebäude verfüge. Peter Koptisch (Freie Wähler) führte die Bedeutung des Rathausvorplatzes für den öffentlichen Personennahverkehr an und argumentierte damit ähnlich wie Walter Fuchslocher (SPD). Dieser verwies auf den anstehenden Ausbau der Brenzbahn, im Zuge dessen sich in Herbrechtingen künftig viele Wege kreuzten.
Man solle angesichts der historischen Bedeutung dem Risiko aus dem Weg gehen, „dass der Bahnhof irgendwann an jemanden geht, der ihn anders als im Sinne der Kommune nutzt“, sagte Jörg Ehlers (SPD). Sein Fraktionskollege Thilo Eckermann fragte sich, ob die städtische Bauverwaltung über ausreichende Kapazitäten verfüge, um das Vorhaben zu schultern. Mit Hilfe durch ein externes Büro werde das der ohnehin schon großen Belastung zum Trotz gelingen, versicherte Dieter Frank, Leiter des Fachbereichs Bau.
Für den Fall, dass alle Stricke reißen, hatte Georg Buck (CDU) einen Notausstieg in petto: „Wenn ein Privater den Bahnhof besitzt, passiert zunächst mal nichts. Wir können genauso verfahren und zur Not nach zehn Jahren wieder verkaufen.“ Etwas zurückhaltender äußerte sich Hermann Mader (Freie Wähler). Der Bahnhof stelle fraglos ein Stück Stadt- und Erfolgsgeschichte dar. Daraus ergebe sich aber nicht zwangsläufig die Notwendigkeit, ihn zu erwerben: „Es könnte uns nichts Besseres passieren, als dass ihn ein Privater kauft und umbaut.“ Negative Entwicklungen seien nicht zu befürchten, da es mit dem Denkmalschutz und einer Veränderungssperre innerhalb des Sanierungsgebiets zwei wichtige Stellschrauben gebe.
Eine Entscheidung über das weitere Vorgehen hätte aus Maders Warte bis nach der Sommerpause Zeit, „denn, wenn das Gebäude begehrt wäre, hätten sie es sicher längst verkauft.“ Mader plädierte dafür, zunächst eine Konzeption zur künftigen Nutzung, eine detaillierte Aufstellung der Kosten und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung auszuarbeiten. Sipple sagte zu, dass die Verwaltung diese Papiere rechtzeitig vor dem Ablauf des Sanierungsprogramms vorlegen werde.
Das Gremium erteilte der Verwaltung schließlich bei 15 Ja- und sieben Neinstimmen mehrheitlich den Auftrag, den Kauf des Bahnhofs abzuwickeln.