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Die Lok, die am Markt vorbeifuhr - Nach dem Aus der Lokomotivenfertigung in Kiel: Voith-Konzernchef Dr. Hubert Lienhard kritisiert „Mythen“
Von: Hendrik Rupp HZ
HEIDENHEIM. Sie sollten Zugpferde werden, auch für das Image des Konzerns – doch die Lokomotivenfertigung bei Voith wird Episode bleiben. Während das Werk in Kiel bestenfalls noch ein Servicestandort bleiben soll, wehrt man sich an der Konzernspitze gegen Dolchstoßlegenden.

Service statt Produktion: Vom Voith-Lokomotivenwerk in Kiel soll nur ein Servicestandort für die verkauften Fahrzeuge übrig bleiben. Möglich, dass die bisherige Halle dafür zu groß ist. Foto: Archiv/Frank Behling

Loks gehören vorne an den Zug, und auch bei der Geschichte der Voith-Loks sollte man vorne anfangen. 2006 zum Beispiel, als Voith stolz die „Maxima“ vorstellte, die stärkste dieselhydraulische Lok der Welt. Das Kraftpaket mit dem eckigen Gesicht hat eine eigentlich logische Geburt gehabt: Voith liefert Getriebe, Achsen, Kupplungen, ganze Antriebspakete nebst Motoren für die Schiene.

Warum dann nicht gleich eine ganze Lok? Voith setzte auf das eigene Know-how: Wo es keine Oberleitungen hat, gab es zuvor nur dieselelektrische Loks: Große Motoren treiben Generatoren an, die wiederum liefern Strom für die Elektromotoren. Kompliziert, aber mechanische Getriebe wie in einem Auto würde es in einer Lok schlicht zerreißen. Voith löste das Problem hydraulisch: Kaum Verschleiß, weder Generatoren noch E-Motoren – eine Lok für die Ewigkeit, sozusagen.

Voith baute nicht eine Lok, sondern eine ganze Lokfamilie: Zur großen „Maxima“ kamen die „Gravita“-Rangierloks, und mit denen gelang Voith der erste Coup am Markt: 2008 bestellte die Deutsche Bahn 130 Gravita bei Voith.

Doch der erste Coup blieb der einzige. Nur in Einzelstücken wurde die „Maxima“ jemals verkauft. War die Zielgruppe zu klein? Richtig spannend war Voiths Zugpferd für private Bahnunternehmen, die Güterzüge abseits elektrifizierter Hauptstrecken fahren lassen, die die Bahn nur teuer oder gar nicht „vermieten“ kann. War Voith zwar als Zulieferer eine Marke, aber als Hersteller zu unbekannt? Denkbar.

Hebelten die etablierten Hersteller dieselelektrischer Loks den neuen Konkurrenten bei Ausschreibung aus? Nicht unmöglich.

Eineinhalb Jahre ist es her, dass Voith sich entschloss, aus der Lokproduktion auszusteigen.

Über ein Jahr suchte man nach Käufern, im Februar brach man auch diesen Plan ab. Keine Produktion unter neuen Hausherren.

Erhalten werden soll nur ein Servicestandort, sozusagen eine Werkstatt für die bereits verkauften Loks und besonders für die 130 Gravita der Bahn AG. Die sind inzwischen fertig, im Werk kommt die Produktion zur Ruhe.

Nicht aber die Gerüchteküche.

In Kiel machen seit dem Bekanntwerden des Lokomotiven-Endes Dolchstoßlegenden die Runde.

Warum konnte man so gute Loks nicht verkaufen? Eine Theorie: man durfte es gar nicht. „Es gibt Mythen, die Geschäftsführung hätte es verboten, Loks zu verkaufen“, sagt Dr. Hubert Lienhard – und der Voith-Konzernchef rechnet gleich im Paket mit den Gerüchten ab. 2012, nach dem Ausscheiden des vormaligen VoithTurbo-Chefs Peter Edelmann, kümmerte sich Lienhard sechs Monate lang persönlich um den Konzernbereich und um die Loks.

„Wir haben nie einen Kaufvertrag abgelehnt oder Käufer weggeschickt“, sagt er. Auch nicht, als die Bahn „Maximas“ erwerben wollte? „Da wurden nicht einmal Endverhandlungen geführt, die Bahn wollte ganz andere Loks als unsere“, sagt Lienhard – und sie ging zur Konkurrenz.War da nicht ein Auftrag aus Südamerika? „Aus dem Auftrag wurde nie etwas, er wurde nie vergeben, auch nicht an Konkurrenten.“ Und waren da nicht Ausschreibungen, die Voith ignorierte? „Es gab keine einzige Ausschreibung, die für dieselhydraulische Loks geklappt hätte.“ Und warum klappte der Verkauf des Kieler Werks nicht? In Kiel munkelt man, Voith habe potenziellen Käufern merkwürdige Konditionen gestellt, bis hin zum Ankauf halbfertiger Loks. Erneut schüttelt Lienhard den Kopf: „Wenn man eine Produktion verkaufen will, verkauft man eine volle Fabrik und keine leere Halle“, sagt er. Und gleichzeitig sei es Voith wichtig gewesen, dass auch ein neuer Hausherr sich um den Service der verkauften Loks kümmert: „Es geht da um unseren Ruf, auch gegenüber der Bahn“, sagt Lienhard. So hätte ein russischer Finanzinvestor zwar das nötige Geld, aber keinerlei Absichten gezeigt, sich um den Service zu kümmern.

Also kümmert sich Voith selbst um seine Loks. Und der Service für Nordeuropa soll in Kiel bleiben. Freilich braucht es dafür nur rund 120 Mitarbeiter. In den besten Zeiten waren in Kiel 200 Voithianer und 100 Leiharbeiter beschäftigt. Bis zum Herbst will Voith Kiel auf Service-Maß geschrumpft haben. Ob man dafür in der 2006 eröffneten Halle am Nord-Ostsee-Kanal bleiben wird, ist unklar. Lienhard: „Vielleicht ziehen wir in Kiel auch um.“ Keine Hoffnung für Maxima und Co. Und was, wenn jetzt doch ein Auftraggeber daher käme? Würde Voith dann wieder Loks bauen. „Die Frage stellt sich nicht“, sagt Hubert Lienhard: „Denn da kommt ganz einfach keiner. Wir scheiden aus dem Geschäft aus."