„Ich wollte ja durch meine Tat noch größeres Blutvergießen verhindern“, hatte Georg Elser im November 1939 bei einem Verhör im Berliner Reichssicherheitshauptamt gesagt. An der Königsbronner Elser-Gedenkstätte ist dieser Satz auf einer gusseisernen Tafel nachzulesen. Doch Elsers Plan missglückte um Haaresbreite.
Weder tötete er mit der Bombe im Münchner Bürgerbräukeller Hitler, noch stoppte er den am 8.
November 1939 bereits entfesselten Krieg.
Krieg lässt sich heute anhand unzähliger Fakten nachvollziehen, es gibt unzählige Bücher, stundenweise Dokumentationen im Fernsehen, aber bei aller Informationsdichte bleibt der Schrecken des Krieges für heutige Generationen, die in Frieden aufgewachsen sind, theoretisch. Was am 14. Februar 1945 in Königsbronn geschah, ist zudem nur eine historische Fußnote im Schatten der Bombardierung Dresdens am selben Tag.
Dennoch: Man kann einen Schauer, ein Unwohlsein empfinden am Schauplatz der wohl folgenreichsten Kriegshandlung im Landkreis Heidenheim. Zugleich ereignete sich hier das schwerwiegendste Unglück in der nun 150-jährigen Geschichte der Brenzbahn.
Geht man in Königsbronn am Bahnsteig von Gleis 2 entlang, vorbei an der Elser-Statue und am Wartehäuschen, befindet man sich genau da, wo sich heute vor 69 Jahren vor allem Frauen und Kinder aufhielten, die aus einem Zug ausgestiegen waren, der die Zivilisten aus dem nach Bombenangriffen zerstörten Ludwigshafen evakuiert hatte.
Erinnerungen der Zeitzeugen Gegen 13.30 Uhr tauchten an jenem sonnigen Mittwoch Flugzeuge über dem Brenztal auf.
Augenzeugen erkannten sie als sogenannte „Rotschwänze“, amerikanische Jagdbomber mit rot lackiertem Leitwerk.
Zahlreiche Königsbronner erlebten den Schrecken der folgenden Minuten. Joachim Ziller, Hauptamtsleiter im Königsbronner Rathaus und Leiter der ElserGedenkstätte, hat die Erinnerungen der Zeitzeugen vor einigen Jahren aufgezeichnet. Dabei gibt es Jahrzehnte nach dem Geschehen in etlichen Details Widersprüche.
Unklar ist etwa, in welche Richtung der Zug weiterfahren sollte und wo die Evakuierten untergebracht werden sollten.
Und blieb der Zug deshalb in Königsbronn stehen, weil der schützende Tunnel am Siebten Fuß von einem Lebensmitteltransport blockiert war? Mehr noch: In einem Artikel zum 50. Jahrestag des Angriffs zitierte der damalige Königsbronner Rektor Helmut Breimesser im Amtsblatt die Erinnerungen einer Frau, die von desertierten Soldaten sprach, die sich um den Zug herum aufgehalten und in Königsbronn um Zivilkleidung gebeten hätten. In weiteren Aufzeichnungen ist sogar von einem zweiten Zug im Bahnhof die Rede, einem mit Proviant beladenen „Militärzug“, der schon Tage zuvor angekommen gewesen sei.
War womöglich just dieser Transport anstelle des Flüchtlingszuges in den relativ sicheren Tunnel gefahren worden? Eine Augenzeugin berichtet, der Lokomotive am Flüchtlingszug sei der „Dampf ausgegangen“, weshalb sich die Weiterfahrt verzögert habe.
Weitgehende Übereinstimmung gibt es beim tatsächlichen Angriff.
Danach kreisten die vier bis acht amerikanischen Flugzeuge zunächst über Königsbronn und attackierten den Zug aus Richtung Itzelberg dann mehrfach. Die Waggons sollen zumindest zum Teil mit dem Roten Kreuz gekennzeichnet gewesen sein.
Der Zug wurde mit Bordkanonen beschossen, mehrere Zeugen berichten von unzähligen Geschosshülsen, die vom Himmel geregnet seien. Ob Bomben abgeworfen wurden – eine Zeitzeugin erwähnt Phosphorbomben, die einen intensiven Brand erzeugt hätten – bleibt wiederum unklar.
Zum Verhängnis wurde vielen Evakuierten offenbar, dass es zwischen Gleisen und Bahnhofsgebäude eine eiserne Barriere gab, im Volksmund „Sperre“ genannt, die nur durch schmale Tore überwunden werden konnte. Vielen der vom Luftangriff überraschten Menschen gelang es demnach nicht schnell genug, sich aus dem Gefahrenbereich zu retten.
30 Menschen waren sofort tot Nach Erinnerungen mehrerer Königsbronner suchten einige Zuginsassen im nahen Güterschuppen Schutz, der aber nach einem Treffer in ein Treibstoff-Fass in Brand geraten sei. Auch im Bahnhofsgebäude und in umliegenden Häusern versuchten Einheimische wie Flüchtlinge, sich vor den Geschossen zu schützen. In zahlreichen Häusern in der Umgebung wurden später Einschusslöcher entdeckt.
Bis zu einer halben Stunde soll der Angriff gedauert haben, und als sich die Überlebenden aus der Deckung wagten, blickten sie nach übereinstimmenden Berichten auf eine grauenvolle Szenerie.
30 Menschen waren sofort getötet worden oder starben wenig später.
Dutzende Verletzte waren zu versorgen. In einer Wohnung im Langen Haus wurde ein Verbandsplatz eingerichtet, RotKreuz-Helfer, aber beispielsweise auch die Pfarrersfrau kümmerten sich um die Opfer. In einem mittlerweile abgerissenen Wohnhaus operierte der damalige Chefarzt des Heidenheimer Krankenhauses, Dr. Günther Clement, mehrere Verletzte.
Im Buch „Es war wie Feuer vom Himmel“, das auf einemMitte der 1990er-Jahre ausgeschriebenen Schreibwettbewerb des Kreisseniorenrates und der Heidenheimer Zeitung basiert, beschrieb die Königsbronnerin Magdalena Kröhl die ersten Minuten nach dem Angriff. „Unter den Toten war eine Mutter von sechs Kindern.
Ihrem Baby Anni versuchten wir Nahrung einzuflößen, doch das Kind war mit Brandwunden übersät und reagierte nicht. Es starb bald darauf im Heidenheimer Krankenhaus. Die vier Buben und ein Mädchen wurden in Königsbronner Familien untergebracht.“ Magdalena Kröhl, die Kinder in ähnlichem Alter hatte, nahm die sechsjährige Elisabeth zu sich. Erst etliche Wochen später konnte der Vater die Kinder zu sich nach Ludwigshafen holen.
Die Toten wurden auf dem Itzelberger Friedhof an der östlichen Mauer in einem Sammelgrab beerdigt.
Nochheute sind ihreNamen auf einer Tafel zu lesen.
In der typischen Diktion jener Zeit überschrieb die „Heidenheimer Kreiszeitung“ fünf Tage später ihren Bericht über die Trauerfeier für die Opfer mit „Wehe den Mördern und Luftbanditen“ und vermittelte vor allem Durchhalteparolen und in geringeremMaße Anteilnahme am Schicksal der Menschen.
Völlig unerwähnt blieb übrigens der Ort des Angriffs. Rektor Breimesser vermutete inseinemArtikel, dies hänge mit Georg Elser zusammen.
Über ihren Schatten springen konnten die strammen Heidenheimer Nazis auch angesichts dieser Tragödie offensichtlich nicht.