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10.02.11 21:25 Uhr Alter: 14 Jahre
Ein Buhmann gibt Kontra - IHK: Bahn-AG-Chef Rüdiger Grube erklärt Ziele und Probleme des Verkehrsgiganten – inklusive Stuttgart 21
Von: Hendrik Rupp - HZ
Es gab schon weit unspannendere Reden bei Jahresempfängen der IHK: Was passiert, wenn man einen der meistgescholtenen Manager der Republik einfach mal seine Sicht der Dinge ausbreiten lässt – sozusagen ganz ohne Trillerpfeifen? Am Freitagabend gab es die Antwort.

Freie Bahn: Vor unüblich wohlwollendem Publikum konnte Bahn-AG-Chef Dr. Rüdiger Grube beim IHK-Empfang einen Zustandsbericht der Deutschen Bahn abgeben – und sich dabei als streitbarer, aber absolut unterhaltsamer Redner beweisen. Fotos: ihk


Die Polizisten langweilten sich frierend vor dem IHK-Gebäude in Schnaitheim: Wo Rüdiger Grube auftaucht, müssen sie sein, denn dort gibt es gerne Demonstrationen – in Baden-Württemberg gilt das umso mehr. Doch in Schnaitheim? Fehlanzeige. Wer mit Leib und Seele gegen Stuttgart 21 ist, der steht zeitgleich mit dem Grünen Verkehrsexperten Winfried Herrmann vor dem Bahnhof beim Schwabenstreich.

Beim Jahresempfang der IHK Ostwürttemberg wiederum hat Grube ein dankbares Publikum: Dass man voll hinter Stuttgart 21 stehe, hat IHK-Präsident Helmut Althammer schon in seiner Einleitung definiert, überhaupt gehe es der IHK um andere Themen.

Grube nimmt das an, doch völlig lösen kann er sich von dem heißen Eisen nicht. Immer wieder einmal streift er das Thema, wiederholt die Notwendigkeit sicherer Rechtsgrundlagen, erzählt von Ölscheichs, die als Investoren befremdet seien von der Idee der Rücknahme des Projekts. Grube redet über die Fehler des K-21-Konzepts, aber weil man ihm nicht widerspricht, ihn niederschreit oder ausbuht, sind die Standardthemen irgendwann verbraucht – und dann legt Grube interessante Dinge nach. Berichtet von den Verträgen, die 2009 mit Kostenschätzungen von 2004 unterzeichnet worden seien („dass das nicht gehen kann, sieht jeder“), und redet von 80 Milliarden Euro, die die Bahn derzeit in laufende Projekte steckt: „Wer da behauptet, Stuttgart nehme anderswo das Geld weg, hat nichts begriffen.“ Das Wirtschaftspublikum applaudiert, Grube lobt die IHKGäste als „Mut- und Gutbürger“ und zeigt, dass er ein wahrer Zahlenteufel sein kann: 18 500 Mitarbeiter habe die Bahn in Baden-Württemberg, 1050 Azubis, ein Schienennetz fast so groß wie die Schweiz, 500 Millionen Fahrgäste . . . Grube feuert diese Zahlen ohne Manuskript, und sobald es langweilig wird, kriegt der wortgewaltige Hanseate die Kurve zum Populären: Pro Jahr habe die Bahn in Deutschland so viele Fahrgäste wie China und Indien gemeinsam Einwohner hätten.

Grube lobt seine Bahn, verweist auf die Entschuldung und „tolle Mitarbeiter“, klammert aber auch die Kehrseiten nicht aus: „Wir haben Milliarden für Produkte ausgegeben, die nicht hielten, was sie versprachen.“ Der ICE 3 sei kaputt, der Neigetechnik-ICE sei nicht einsetzbar, S-Bahnen versagten und bei Berlin stünden 160 neue Regionalzüge auf Halde, die nicht funktionierten.

Einmal mehr: Wenn Grube ausreden darf, kommt er an Punkte, zu denen ihn übereifrige Moderatoren und der Anschrei-Stil der Fernsehshows nicht kommen lassen: Warum versagt die Bahn heutzutage, wenn es Winter wird? Grube berichtet über zusammengefrorenen Schotter im Gleisbett, der von einem 330 km/h schnellen ICE aufgewirbelt wird: „An einem Tag haben wir so 30 Züge kaputt gemacht.“ Also lieber langsamer fahren – so aber den ganzen Fahrplan durcheinanderbringen.

Oder die berühmten Achsuntersuchungen: Alle Nase lang müssten die ICE seit dem Zugunglück von Köln zur UltraschallUntersuchung. Eine technische Lösung sei längst da, aber noch nicht vom Eisenbahnbundesamt abgenommen. Und weil der Ultraschall nur bei eisfreien Zügen klappe, müsse man diese erst auftauen: „Die Züge stehen eineinhalb Tage in der Halle – und halten Sie da doch bitte mal einen Fahrplan ein.“ Die Anekdote, dass er selbst als Kunde an einem Fahrkartenautomaten der Bahn gescheitert sei, ist alt, amüsiert in Ostwürttemberg aber immer noch – doch dann hat Grube irgendwann genug, Probleme nur zuzugeben, und gibt allmählich Kontra.

Es sei unfair, den ICE mit anderen Hochgeschwindigkeitszügen zu vergleichen: „Der TGV und der Shinkansen fahren auf eigenen Gleisen, wir dagegen auf einem Netz für alle, das wir auch noch mit Konkurrenten teilen müssen.“ Im Korsett der Politik Die Bahn sei zwar ein Wirtschaftsunternehmen, werde vom Staat aber noch in manch behördlichem Korsett gehalten: So dürfe für einen technischen Fehler an einem Zug nicht der Hersteller haften, sondern man mache die Bahn verantwortlich. Und während man es der Bahn nicht nur in Frankreich mit allerlei Tricks schwer mache, im Eisenbahngeschäft tätig zu werden, fordere man in Deutschland Wettbewerb und lasse sich veralbern: „Da kommen angebliche Mittelständler, hinter denen in Wahrheit große Staatsbetriebe stehen.“ Immer wieder dreht sich Grube zur EUAngeordneten Inge Gräßle, erklärt, an was die Politik schuld sei und was man dringend ändern müsse. Und selbstverständlich sind an allen Problemen der Bahn auch die Journalisten schuld.

„So, ich denke, Sie haben’s begriffen“, ulkt Grube, und während das Publikum lacht, steigt er auf das Thema Ziele um. Die Inhalte kennt man, doch der Bahn-Chef bringt sie persönlich ebenso unterhaltsam wie mit Herzblut rüber: Das Brot- und Buttergeschäft müsse laufen, der Kunde wolle schlicht pünktliche, saubere Züge.

44 Milliarden werde die Bahn in mehr Qualität und Sicherheit stecken, in neue Technik und mehr Sicherheitspersonal. „Aber bei der Bahn geht das nicht von heute auf morgen!“ ruft Grube. Und das auch nur, wenn man der Bahn gestatte, mit den Gewinnen aus dem Netz den Betrieb zu finanzieren. „Wer die Trennung fordert, hat sich offenbar noch nie mit dem Thema beschäftigt.“ „Netz zahlt Betrieb“ Umgekehrt teilt Bahnchef Rüdiger Grube auch in die Vergangenheit aus: Ein Börsengang sei in absehbarer Zeit „so nötig wie der Osterhase zu Weihnachten“. Stattdessen müsse die Bahn ihre Schulden abbauen, mit dem eigenen Cashflow investieren und ihre Tätigkeit weiter in die gesamte Logistik- und Mobilitätskette ausbauen. Die Bahn müsse ein kompletter Dienstleister sein, Fracht auf Straße und Schiene transportieren.

Sprach’s, ließ sich applaudieren und schüttelte (nette Geste) Musiker Klaus Wagenleiter die Hand. Der hatte zum Programm Klavier gespielt. Und nicht Vuvuzela.