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Der Bahnhofsvorsteher - Siegfried Fernitz macht mehr als 970 Zughaltestellen in Deutschland zu Geld
Von: Niko Dirner / HZ
Sanieren und vermieten oder gleich verkaufen – und das hundertfach: Die Mitarbeiter der Main Asset Management müssen fast tausend Bahnhöfe in Deutschland zu Geld machen. Viel Zeit bleibt dafür nicht.

Optimal gelaufen: Im Erdgeschoss des Bahnhofs von Senden bei Ulm ist eine Postagentur eingezogen. Für Siegfried Fernitz hat diese Neunutzung Vorbildcharakter für die hunderte Bahnhöfe, die er vermarkten muss. Foto: Volkmar Könneke

Dreieich. PoetischeMenschen nennen sie „Kathedralen der Mobilität“, die Aufsichtsbehörde definiert: „Anlagen mit mindestens einerWeiche, wo Züge beginnen, enden, ausweichen oder wenden dürfen.“ Es gehtumBahnhöfe. Für Siegfried Fernitz sind die Zughaltestellen ungenutzte Renditepotentiale. Sein Job ist die Vermarktung von 970 Bahnhöfen in Deutschland – aus BadenWürttemberg sind unter anderem die Orte Eubigheim, Kirchzarten, Munderkingen und Titisee dabei.

Dabei arbeitet der Jurist und Immobilienökonom nicht für die Deutsche Bahn AG – der 53-Jährige istGeschäftsführer der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekanntenMain AssetManagement mit Sitz im hessischen Dreieich. Die MAM führt als Tochter der britischen Patron Capital, die ab 2005 der DB AG 1004 Bahnhöfe abgekauft hat, hierzulande das operative Geschäft. Somit ist Fernitz Herr über heute noch 970 Gebäude, die in vielen Gemeinden zentral liegen, aber seit Jahren verfallen und leerstehen. „Wir haben genug Geld und Know-How, um das zu ändern“, sagt Fernitz.

Aber sind denn die Gebäude, neben denen die Züge vorbeirattern, attraktiv genug? Sicher, gibt sich Fernitz überzeugt. Zum einen sei die Grundausstattung hochwertig: „Wir haben fast überall großzügige Grundstücke, hohe Decken, Parkettböden, Stuck.“ Der Bahnhofvorsteher habe einst einen ähnlich hohen Status wie ein Bankdirektor gehabt, entsprechend repräsentativ war sein Wohnsitz. Darüber hinaus, meint Fernitz, seien die Deutschen sehr „bahnaffin“, verbinden mit den Zughaltepunkten immer noch den „Duft der großen, weitenWelt“.

Ergo gebe es viele Leute, die in Bahnhöfen wohnen wollten.

Vor zwei Jahren, räumt Fernitz ein, hätte er so nicht zu reden vermocht.

Damals verstand er auch nur Bahnhof von Bahnhöfen. Ehe er von Patron angesprochen wurde, kaufte der Immobilienexperte für ein anderesUnternehmen Einkaufscenter auf. „Ich bin ins kalte Wasser gesprungen und arbeite mich bis heute ein. Es handelt sich um eines der schwierigsten Portfolios, die es gibt.“ Denn jeder Ort habe mindestens drei Parteien, die zu berücksichtigen sind: Erstens – so es sie gibt – die Bewohner der Bahnhöfe.

Die bezahlten teils heute noch nur 1,80 a für den Quadratmeter und wehrten sich gegen eine Zentralheizung, um nur ja keine Mieterhöhung zu bekommen. Zweitens die Stadtverwaltungen, die zumeist passiv sind oder eine Wiederbelebung fordern und konträre Pläne haben.

Drittens die Bahn AG selbst. „Und das ist der Knaller schlechthin“, sagt Fernitz sarkastisch.

Der ehemalige Staatskonzern sei total „verkrustet“, habe derMain Asset Management nur Steine in den Weg gelegt. „Da arbeiten Leute, die bis heute nicht wissen, dass die Bahnhöfe verkauft worden sind.“ Was weitreichende Folgen haben kann, wie Fernitz mit zahlreichen Anekdoten belegen kann – seine Lieblingsgeschichte geht so: In einen Bahnhof irgendwo in Westdeutschland soll ein Sportgeschäft einziehen. Dafür wird eineWand zu einem Raum durchbrochen, in dem ein ominöses Steuerpult der Bahn steht. Der Konzern weiß Bescheid, der Mietvertrag ist ordnungsgemäß gekündigt. Denken die MAM-Leute.

Ein Fehler: Nach dem Start der Bauarbeiten stellt sich heraus: Der Tisch ist essentiell für die ICE-Strecke Köln-Frankfurt und gehört einer anderen Bahntochter, die den betreffenden Teil des Zimmers beansprucht.

„Es gab zwei Mieter – das wussten wir aber nicht! Und die haben einander nichts von uns erzählt.“ Die Folge: Viel Ärger für den neuen Eigentümer und ein schleunigst anberaumtes Gespräch mit der Konzernspitze.

„Bei der Bahn weiß die eine Hand nicht, was die andere tut“, seufzt Fernitz. Erschwerend komme hinzu, dass vieleMitarbeiter ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein an den Tag legen: „Erst kommt der Mehdorn (damals noch Bahnchef, Anm.

der Redaktion), dann kommen wir – denn wir lassen die Züge fahren – dann kommen Sie“ – den Satz hat Fernitz schon oft gehört. „Das geht noch 20 Jahre so, denn der jüngste Beamte ist gerade mal 40.“ Bis dahin freilich können die ImmobilienManager mit ihrerWiederbelebung nicht warten: Der BahnhöfeFonds, in den Investoren Millionen eingezahlt haben, ist auf sieben Jahre angelegt. Danach wollen die Finanziers die versprochene Rendite haben. Der Weg dorthin: „Wir machen aus den alten Bahnhöfen neue Produkte für neue Investoren.“ Jedenfalls mit jenen 600, die entwicklungsfähig sind. „Die anderen kann man nur platt machen oder verkaufen.“ Das oberste Ziel der Asset-Manager: Den Vermietungsstand von 40 Prozent hochzutreiben.

Wie im bayerischen Senden beiUlm, wo dieMAMim Erdgeschoss eine Postagentur ansiedeln konnte. Die Wohnungen in den Stockwerken darüber werden renoviert und sollen bald vermietet sein.

Senden ist der Vorzeigebahnhof des Unternehmens in Süddeutschland.

Der Kampf mit dem BürokratieMonster Bahn freilich bremse die Investoren heftig aus, räumt Fernitz ein. „Wir sind hinten dran.“ Fast zwei Jahre hätten er und seine 16 Mitarbeiter bei der MAM benötigt, um sich einen Überblick über das Portfolio und dessen Besonderheiten zu verschaffen. „1004 Bahnhöfe sind eine nur schwer vorstellbare Zahl. Das ist ganz großes Kino. Und sehr abwechslungsreich.“