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05.06.10 22:09 Uhr Alter: 14 Jahre
Bahnhof Niederstotzingen total vernagelt
Von: Klaus-Dieter Kirschner
Bahnhöfe waren zumindest früher so etwas wie die Visitenkarten einer Stadt oder eines Dorfes. Sie wurden gehegt und gepflegt – meist vom Bahnhofsvorsteher (das war der mit der roten Schirmmütze) und seiner Familie. Es blühten vor den Fenstern nicht bloß viele bunte Blümchen. Doch seit „Rotkäppchen“ nimmer da ist, ist es um die Visitenkarte geschehen. Die Verantwortlichen in der Kleinstadt Nie-derstotzingen ballen in Gedanken die Faust und erreichen damit doch nichts. Der Bahnhof ist zum Verkauf ausgeschrieben. Interessenten sind weit und breit nicht zu sehen.

Die letzten Bewohner des Niederstotzinger Bahnhofs sind Tauben. Unter dem weit vorspringenden Giebeldach hockt eine Tau-be auf den Resten der abgezwickten Strom-Zuleitung. Dass das ein beliebter Platz ist, zeigen die Spuren an der Fassade. Wei-tere Quartiere für die gefiederten Tiere sind vorspringende Balken. Foto: kdk


Eine der Türen am Niederstotzinger Bahnhof, durch die niemand mehr geht: Mit Spanplatten sind sämtliche Zugänge vernagelt worden. Foto: kdk


in bauliches Detail, das um 1874 ein unbekannter Steinmetz als Schlussstein über Türen und Fenster des Bahnhofs Niederstot-zingen gemeißelt hatte Foto: kdk


Einst waren es zwei Gleise, die vor dem Güterbahnhof Niederstotzingen endeten: Sie sind abgebaut. Der Müll wird dafür immer mehr. Foto: kdk


Die Fassade des stillgelegten Bahnhofs Niederstotzingen: Die Fensterläden an der ziegelgemauerten Fassade sind geschlos-sen. Markant ist die einstige Gestaltung des Schriftzugs Niederstotzingen. Foto: kdk


Nur noch wenige Scheiben sind heilgeblieben an den Fenstern des Güterschuppens, der neben dem Niederstotzinger Bahnhof schon lange keine Kundschaft mehr gesehen hat. Die Gütergleise sind abgebaut. Foto: kdk

Bahnhöfe sind heute auch nicht mehr, was sie einmal waren.

Es änderten sich die Zeiten. Die Bundesbahn trennte sich von allem, was an die Reichsbahn-Herrlichkeit erinnerte und Daseinsvorsorge für die Eisenbahner war.

Die ersten, die wegrationalisiert wurden, waren die Bahnwärter.

An ungezählten Bahnübergängen kurbelten sie oft über Jahrzehnte die Schranken hoch oder runter und sicherten das unfallfreie Vorbei-fahren mehr oder minder schneller Züge. Es war die Zeit, als sich die Bahn das „Rauchen“ abgewöhnte und die Traktion der Züge von Dampf auf Diesel oder Strom umstellte. Auf weniger rentablen Strecken kamen Schienenbusse zum Einsatz.

Eine Bahnreform jagte die andere.

Eines Tages waren auch die Bahnhöfe an der Reihe, die ganz geschlossen wurden, weil das Passagieraufkommen an den Fahrkartenschal-tern und auf Bahnsteigen viel zu gering geworden war. Der Rotstift beseitigte alles, was irgendwelchen Bürokraten überflüssig erschienen war.

An der 72,476 Kilometer langen Brenzbahn war dies zum Beispiel in Mergelstetten der Fall: der Bahnhof wurde zugemacht, der Zughalt aus dem Fahrplan gestrichen.

Für annähernd 80 Millionen Euro wurde zwischen 2003 und 2007 die Brenzbahn ertüchtigt und komplett auf ein zentrales Elektronisches Stellwerk in Heidenheim umgestellt. Auf der Strecke kann man nun bis zu 160 Stundenkilometer schnell fahren.

Nur der Bahnhof in Heidenheim wurde von der Modernisierung ausgeklammert und so haben dort noch immer Rollstuhlfahrer und Müt-ter mit Kinderwagen ein Problem, den Bahnsteig an Gleis 2 zu erreichen.

Diese „Ertüchtigung“ der Brenzbahn machte örtliche Stellwerke, wie sie zum Beispiel in einem kleinen Gebäudevorsprung in Niederstot-zingen, in Hermaringen, in Sontheim und auch in Itzelberg unterhalten wurden, überflüssig. „Abgeschafft“ wurde der Bahnhofsvorstand, der einst mit viel Hingabe und Liebe seine Bahnstation in Schuss hielt. An den höhergesetzten Bahnsteigen – zum ebenerdigen Einstieg in die Züge – wurden kleine Wartehäuschen aufgestellt und FahrkartenAutomaten. Die Wartehäusle bieten nicht wirklich Schutz und sind bei Gewitter schon gar nicht als Unterstand geeignet.

Was waren das noch für Zeiten, als vor allem im Winter Reisende in Niederstotzingen in der durch einen Kanonenofen etwas aufgewärm-ten Wartesaal sitzen und aufs Zügle warten konnten. Unterstehmöglichkeiten der klassischen Art gibt es heute nimmer. Viele Leute kommen mit der modernen Technik des Fahrkarten-Automaten nicht zurecht. Die Durchsage am Lautsprecher kommt aus der Konserve.

Der Niederstotzinger Bahnhof, der immer mehr verkommt, ist schon lange keiner mehr und im Grunde nur noch die gemauerte Erinne-rung an eine scheinbar gute alte Zeit. Da zählte der Passagier noch als Kunde. Doch König Kunde wurde längst die Krone geraubt. Zahlen, einsteigen und hinhocken ist die Devise. Verspätungen auf der Brenzbahn inklusive.

Bei Tempo 160 sind Blümchenpflücken oder Blümchen bewundern nicht bloß an der Bahnstation Niederstotzingen nicht mehr drin.

Die Brenzbahn zwischen Thalfingen und Aalen wurde in vier Bauabschnitten realisiert. Begonnen wurde 1862 von Aalen bis nach Hei-denheim – inklusive des 257 Meter langen Tunnels durch den Brünneleskopf zwischen Itzelberg und Schnaitheim. 1864 war feierliche Einweihung. Am 25.

Juli 1875 war die Verlängerung bis Niederstotzingen gebaut. Das vorletzte Stück bis Langenau wurde im November 1875 eröffnet. Ge-raume Zeit später geschah der Lückenschluss nach Thalfingen mi der Einweihung am 5. Januar 1876.

Bleibt noch zu erwähnen, dass es vom 1. Mai 1911 bis zum Jahre 1956 noch eine Querverbindung der Brenzbahn von Sontheim an der Brenz ins bayrische Gundelfingen gab. Eine ideale Verbindung zur Donautalbahn, die aber nie so richtig bei den Bahnreisenden ange-nommen wurde. Damit war es auch vorbei mit dem Umstieg in Sontheim in den „Gänsemetzger“, wie dieses Bähnle einst genannt wur-de. Manches Federvieh war in den 45 Jahren unter die Räder dieses Zügles gekommen