Viele Stunden Zugfahrt und mindestens genauso viele Stunden Langeweile – Das war meine Erwartung, als ich gelesen hatte, wie lange man von Rügen bis nach Heidenheim unterwegs ist.
Und wenn man es genau nimmt, muss man den „Spaß“ ja doppelt rechnen, da man ja auch wieder zurück nach Hause von der Heimat möchte.
Mit vollster Motivation also in den Zug gesetzt. Erstmal eine Bimmelbahn, um überhaupt von der Insel zu kommen. Ich habe mich trotz aller Furcht vor Langeweile wie in „In 80 Tagen um die Welt“ gefühlt. Es galt ein Ziel zu erreichen, die Anschlusszüge zu bekommen und gegen alle Erwartungen im Zeitplan zu bleiben.
Große Ziele.
Den ersten wunderbaren Anschluss ohne viel Wartezeit bekommen – ein Adrenalinspiegel wie im besten Horrorstreifen hatte jetzt die Chance, abzuklingen.
Bis Berlin war alles in trockenen Tüchern. Viel Zeit zum Menschen beobachten also. Die Frau mit dem Hund, der Mann mit der Freundin, die trinkenden Jungs und der ältere Engländer. Auf dem Berliner Hauptbahnhof ging dann der Spaß weiter. Auf den schicken Anzeigetafeln war mein Zug natürlich nicht drauf. Ein klein wenig Panik stieg auf. Vielleicht hatte ich ihn schon verpasst, oder er fuhr gar nicht. Mit einem Megatempo ging es also zum Gleis, das laut meinem ausgedruckten Plan richtig war.
Durchsage über Durchsage kam durch den Lautsprecher und ich konnte natürlich recht herzlich wenig verstehen. Nach einer kleinen Ewigkeit erschien dann mein ICE auf der Anzeigentafel. Ja! Gleich geht’s weiter! Denkste. Der Zug hatte angekündigte zehn und gefühlte dreißig Minuten Verspätung. Was für eine Überraschung . . . Die Temperatur schien mit der Geduld zu sinken und die eingepackte Notfallschokolade war längst verputzt.
Just in dem Moment, als ich einen der Automaten mit den überteuerten Snacks benutzen wollte, fuhr mein Zug ein. Das Geld wieder eingesteckt und ab in den Zug.
Nachdem ich wiedermal fast den falschen Platz genommen hätte – der hatte nämlich die gleiche Nummer wie meiner, nur ein, zwei Wagons weiter hinten – ließ ich mich auf einen bequemen Sitz in Fahrtrichtung fallen. Ruhewagen – Schlaf und Erholung standen mir im Sinn. Mit vier anderen Leuten im Abteil sollte das möglich sein. Doch als ich mich dazu entschlossen hatte, die Augen zu schließen, packte die Gute neben mir ihren Laptop aus und hackte vier Stunden darauf herum. Zwischendurch klingelte dann immer mal wieder ihr Handy.
Entnervt gab ich mein Schlafvorhaben also auf.
Als es dann endlich „Endstation Stuttgart“ hieß, vollführte ich innerlich Freudensprünge und die teure Cola im Bordbistro war auch schon fast vergessen. Mit Sack und Pack standen dann auch schon alle am Ausgang, als der Schaffner zerknirscht eine Verspätung um zehn Minuten zugab. „Gut, okay, kann man nichts ändern“, dachte ich mir und blieb ruhig, schließlich fuhr der Anschlusszug erst in einer halben Stunde. Nach Ablauf der angekündigten Verspätung, knisterten die Lautsprecher verheißungsvoll.
„Wir bitten die Verspätung zu entschuldigen, aufgrund eines Zuges vor uns blablabla erneute zehn Minuten Verspätung.“ Bitte was? Entsetzen durchströmt die Menge. Die meisten Anschlusszüge waren weg und für meinen blieben mir noch exakt vier Minuten.
In einem Affenzahn sprang ich bei Ankunft in Richtung Zug nach Aalen und mit viel Glück erreichte ich diesen auch. Ab jetzt konnte eigentlich nichts mehr schief gehen und vor lauter Müdigkeit fielen mir fast die Augen zu, ich hatte jetzt fast elf Stunden Zugfahrt hinter mir. Der Zug hielt und fuhr, hielt und fuhr und als es still um mich wurde, blickte ich mich um. Irgendwie schienen alle auszusteigen. Da der Zug wirklich leer zu werden schien, beschloss ich, auch mal auszusteigen und siehe da, wir waren in Aalen.
Hier sollte mich meine Verwandtschaft abholen, nur leider stand keiner auf dem Bahnsteig und auch niemand vor dem Bahnhof. Sollte die Reise wirklich kurz vor dem Ziel scheitern? Nach allem, was geschehen war, hatte ich nun damit am Wenigsten gerechnet. Ich beschloss also – da ich meine wärmeverwöhnten Verwandten kenne – auf dem Parkplatz nachzusehen.
Und wie vermutet: meine Rettung in Form eines HDH-Kennzeichens stand dort.
So habe ich es also in meine Heimat und zu allen Einheimischen hier geschafft.