Unser Büchertipp:
1919 bis 2019
Die Schmalspurbahn Marbach–Beilstein–Heilbronn
Kalender mit Bilder der Brenztalbahn für das Jahr 2024
Die schöne Württembergerin und ihre Vorgänger
150 Jahre Eisenbahngeschichte
Eine Dokumentation über die Anfänge des öffentlichen Stadtlinienverkehrs in Stuttgart - 1860 bis 1897
25.09.08 13:46 Uhr Alter: 16 Jahre
Bahnhofspate
Von: Susanne Heliosch
LANGENAU – Oft wenden sich Fahrgäste am Langenauer Bahnhof an Emanuel Königer. Er könnte dann Reiseauskünfte erteilen, Geld wechseln oder behilflich am Fahrscheinautomaten sein. Der 32-Jährige ist aber weder Bahnangestellter noch Mädchen für alles, sondern „nur“ Bahnhofspate.




„Entschuldigung, wann fährt der nächst Zug nach Ingolstadt?“ – Emanuel Königer strahlt wohl schon von Ferne Hilfsbereitschaft aus. Vielleicht hat er auch etwas von einem Bahnbediensteten an sich, obwohl er gar keine Uniform trägt. Denn wann immer er am Langenauer Bahnhof nach dem Rechten schaut, zieht er ratlose Fahrgäste wie magnetisch an. Gemeinsam mit den hilflosen Passanten versucht er dann die Problemchen aus der Welt zu schaffen. Der Bedarf an menschlicher Betreuung an den Bahnstationen ist  ganz offensichtlich groß. „Ich helfe, wo ich kann“, sagt er.

 Dabei wäre das gar nicht seine Aufgabe. Denn als Bahnhofspate ist er nicht für die Menschen zuständig, sondern lediglich für das äußere Erscheinungsbild des Bahnhofgebäudes und der Bahnsteige. Franz Nerb vom Service-Management der Bahn AG in Ulm formuliert es so: „Die Bahnhofspaten melden uns hauptsächlich Unregelmäßigkeiten, wie etwa Vandalismusschäden oder Nachlässigkeiten in der Reinigung. Die Zusammenarbeit zwischen ihnen und der Bahn ist sehr eng.“

 So gesehen sind Bahnhofspaten, die ihre Aufgabe ehrenamtlich versehen, willkommene Glücksfälle für das Unternehmen Bahn. Denn überall, auch im Alb-Donau-Kreis, zeigt sich das gleiche Bild: verwaiste Bahnhöfe ohne Personal. Viele kleinere Bahnhöfe sind nur noch pure Haltepunkte – zweckorientiert und seelenlos. Für Vandalen ein idealer Tummelplatz: Hier besudelte Wände, dort zertrümmertes Fensterglas. Der Bahnhof in Niederstotzingen ist ein Beispiel für solch eine Zerstörungswut. Bald nach der Schließung des Gebäudes schlugen Unbekannte Fensterscheiben ein.

 Bahnhofspatenschaften gibt es in ganz Deutschland. Rar gesät sind sie aber dennoch. In der Regel sind sie täglich am Bahnhof. Sie melden nicht nur die Auffälligkeiten, sondern greifen auch selbst zu Pinsel, Farbe oder Müllzange, um Wandschmierereien und Unrat zu beseitigen. Jeder, der sich für eine Patenschaft interessiert, kann bei der Bahn vorsprechen. Bahnhofspaten sind gesuchte Leute.

 „Emanuel Königer ist ein Sonderfall. Denn das Bahnhofsgebäude gehört der Stadt, das Gelände ringsum samt Bahnsteige der Bahn“, erklärt Nerb. So arbeitet Emanuel Königer beiden zu: „Bei Auffälligkeiten schicke ich E-Mails an die entsprechenden Stellen.“ Während an anderen Bahnhöfen die Paten meist täglich im Einsatz sind, pilgert Emanuel Königer an zwei Tagen in der Woche zu seinem Bestimmungsort. Sonntags in der Frühe ist er so gut wie immer dort anzutreffen. Kürzlich sei eine Außenlampe am Bahnhofsgebäude und gleichzeitig einer der zwei Aufzüge an den Bahnsteigen defekt gewesen. Auch eine Störung am Fahrscheinautomaten ist schon vorgekommen und abgerissene Plakate im Wartesaal.

 „Seit vier Wochen ist ein Graffity-Sprayer in den Unterführungen zu den Bahngleisen aktiv. Quasi über Nacht ist wieder ein neues Werk an der Wand“, berichtet er. Zu Farbe und Pinsel greift Emanuel Königer aber nicht. Es fehlt die Zeit. Denn der 32-Jährige hat eigentlich genügend andere Dinge um die Ohren, etwa als ehrenamtlicher Leiter des Langenauer Stadtarchivs. Und überhaupt: Der gelernte Einzelhandelskaufmann ist schließlich in erster Linie beruflich eingespannt. Ab Oktober heißt es außerdem: pauken. Denn Emanuel Königer beginnt an der Berufsakademie in Heidenheim ein Studium zum Diplombetriebswirt.

 Zum Posten des Bahnhofspaten kam er wie die Jungfrau zum Kind. Im Umfeld einer Ausstellung rund um das stillgelegte Stellwerk im Bahnhof Langenau am Brenztal-Erlebnistag ergab sich der Kontakt. „Das war vor einem Jahr. Vorher hatte ich keine Beziehung zur Bahn und auch wenige Interesse“, sagt Königer, der sich vielleicht gar nicht wirklich bewusst ist, dass in seinen Adern ein angemessenes Quäntchen Eisenbahnerblut fließt. Denn immerhin hat schon sein Urgroßvater bei der Eisenbahn gearbeitet.