Unser Büchertipp:
1919 bis 2019
Die Schmalspurbahn Marbach–Beilstein–Heilbronn
Kalender mit Bilder der Brenztalbahn für das Jahr 2024
Die schöne Württembergerin und ihre Vorgänger
150 Jahre Eisenbahngeschichte
Eine Dokumentation über die Anfänge des öffentlichen Stadtlinienverkehrs in Stuttgart - 1860 bis 1897
01.12.07 15:12 Uhr Alter: 16 Jahre
Höher besoldet als mancher Pfarrer
Von: Gerhard Prinz - SWP - HZ
Mit den Dampfrössern entstand der neue Berufszweig der Eisenbahner.

Mit den ersten Eisenbahnen - hier zwei Produkte der Maschinenfabrik Esslingen - entstand eine neue Berufsgruppe. Während die Kopernikus nicht für Württemberg bestimmt war, sind auf der in Württemberg verkehrenden Lok "Trier" der Klasse A Lokführer, Heizer und ein "Gehilfe" für den Fotografen aufgestellt. FOTO: Sammlung Verlag Uwe Siedentop/Daimler AG, Heritage Information Center


TECHNIKGESCHICHTE / Württembergs erste Lokomotivführer. Die Lokführer, die in den vergangenen Wochen von sich reden machten, nahmen schon immer eine Sonderstellung unter den Eisenbahnern ein. Die gibt es in Württemberg, seit 1845 die erste Eisenbahn gebaut wurde. Woher kamen die Angehörigen dieser neuen Berufsgruppe?

Im Frühjahr 1845 sucht die staatliche Eisenbahnkommission "geschickte und erfahrene Männer" als Lokomotivführer. Denn in einigen Monaten soll die erste Strecke der "Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahn" von Cannstatt nach Esslingen in Betrieb gehen.

Bis die geplante Verbindung von Heilbronn an den Bodensee fertig ist, werden weitere fünf Jahre vergehen. Und so wie die ersten Lokomotiven und Wagen, müssen zu Beginn auch einige Fachkräfte aus dem "Ausland" - das heißt von außerhalb Württembergs - importiert werden.

Erster Lokomotivführer Württembergs wird ein Stuttgarter, der eine mehrjährige Berufspraxis in Österreich vorweisen kann und nun in seine Heimat zurückkehren will. Ihm werden vier "Gehilfen" beigegeben: die ersten Lokomotivheizer und zugleich der Lokomotivführernachwuchs. Auch diese vier sind Württemberger und haben bislang als Heizer oder Werkstättenarbeiter in Baden oder Sachsen gearbeitet. Die zweite Lokomotivführerstelle bekommt Ende 1845 wiederum ein aus Österreich abgeworbener gebürtiger Stuttgarter.

Die Expertendienste dieser sechs Personen, allesamt gelernte Schlosser, und ihre Bedeutung für die Betriebssicherheit werden so hoch geschätzt, dass man sie sogar als mittlere Beamte einstuft. Das Jahresgehalt der beiden Lokomotivführer liegt höher als das manches Pfarrers! Allerdings erhalten bereits die im folgenden Jahr eingestellten Führer und Heizer nur noch den Status von Unterbediensteten und wesentlich geringere Gehälter.

Unterbedienstete und mittlere Beamte waren Staatsdiener, denn die Eisenbahn war Teil der württembergischen Staatsverwaltung. Die mittleren Beamten waren in etwa dem heutigen gehobenen Dienst vergleichbar, wogegen die Unterbediensteten als Zwitterwesen zwischen den Beamten und den Arbeitern standen: Einerseits verrichteten sie überwiegend manuelle Tätigkeiten und hatten allenfalls eine handwerkliche Vorbildung; andererseits qualifizierten sie sich oft im Verlaufe ihres innerbetrieblichen Aufstiegs und trugen in bestimmten Positionen eine immense Verantwortung. Sie erhielten deshalb einen etwas besseren Status.

Disziplin war wichtig

Ihre Entlohnung erfolgte nicht im Taglohn, sondern in Jahresgehältern, doch waren sie prinzipiell kündbar und hatten keinen Pensionsanspruch. Die Eisenbahnarbeiter aber bildeten bis zum Ersten Weltkrieg mit über der Hälfte des Personalbestandes stets die stärkste Gruppe. Viele von ihnen konnten bei Bewährung eine Unterbedienstetenstelle erlangen.

Alle sechs "Maschinenmänner", die im Jahre 1845 angestellt worden sind, waren ausgebildete Schlosser, die im Ausland Fachpraxis erworben hatten und von dort abgeworben worden waren. Dies alles unterschied sie deutlich von den anderen Eisenbahnern der ersten Generation. So wurden für einfache Tätigkeiten eine Vielzahl von ungelernten Arbeitern benötigt.

Für andere Funktionen wiederum war Zuverlässigkeit wichtiger als Fachwissen, denn 1845 wusste man längst, dass eine Eisenbahn eine gefährliche Sache ist. Es sollten noch Jahrzehnte vergehen, bis ein befriedigender Sicherheitsstandard erreicht war. Mangels technischer Möglichkeiten kam es deshalb in hohem Maße auf die Disziplin des Personals an: Exakte Dienstverrichtung war notwendig, weil schon kleine Nachlässigkeiten verheerende Folgen haben konnten.

Nicht nur im Lokomotivdienst gab es zahlreiche sicherheitsrelevante Funktionen; je nach Qualifikation übertrug man sie deshalb Unterbediensteten oder sogar mittleren Beamten. Aus einigen Unterbediensteten-Tätigkeiten entwickelten sich "typische" Eisenbahnerberufe: Bahnwärter, Weichenwärter, Kondukteure und Oberkondukteure - das waren die späteren Schaffner und Zugführer -, Bremser, Bahnhofsaufseher usw.

Die ersten 17 solcher Unterbedienstetenstellen wurden im Herbst 1845 vergeben, 14 davon an ehemalige Unteroffiziere verschiedener Dienstgrade. Selbst bei den 12 mittleren Beamtenstellen, die in diesem und im folgenden Jahr zur Besetzung anstanden, kamen neben etlichen Bewerbern mit Verwaltungserfahrung auch ein Offizier und drei Feldwebel zum Zuge.

Vorzugsweise wurden also Kräfte eingestellt, die ihre Zuverlässigkeit während eines längeren Militärdienstes bewiesen hatten. Zudem waren die einfacheren Unterbedienstetentätigkeiten ja nichts anderes als Anlernberufe. Das fachliche Können war zweitrangig und konnte "on the job" erworben werden. Die qualifizierteren Posten ließen sich dann im Wege des Aufstieges besetzen. Solche "Laufbahnen" bildeten sich bald heraus, zum Beispiel vom Bremser über den Kondukteur zum Oberkondukteur.

Interne Rekrutierung

Die Übernahme länger gedienter Soldaten in den Eisenbahndienst wurde in geringerem Umfang auch in den folgenden Jahrzehnten beibehalten. Ansonsten kam sehr schnell eine betriebsinterne Selbstrekrutierung in Gang: Schon 1849 wurden für 18 zu vergebende Stellen nur noch zwei Kräfte neu eingestellt.

Die Abwerbung von Spezialisten aus dem Ausland fand nur beim Lokomotivpersonal statt. Bei den übrigen Unterbediensteten war dies wegen der niedrigeren Qualifikation nicht erforderlich. Doch auch bei den Maschinisten war die Abwerbung rückläufig: Bis 1847 wurden noch zwei Lokomotivführer aus Oberschlesien angeworben sowie einige Heizer und Werkstättenarbeiter mit Auslandspraxis.

Für das kollektive Bewusstsein der Lokomotivführer aber war die Tatsache, dass die allerersten Kollegen hochbezahlte und eigens importierte Spezialisten gewesen sind, mit Sicherheit prägend. Im Gegensatz dazu musste sich der große Teil der Unterbediensteten und Arbeiter bald schon mit dem nicht nur in Württemberg kursierenden Sprüchlein ärgern lassen: "Wer nix isch und wer nix kââ, goht zur Boscht ond Eisebââ."