Schwäbische Chronik

des schwäbischen Merkurs zweite Abteilung II. Blatt
Donnerstag, der 15. September 1864

§ Heidenheim den 13. Sept. Der Himmel war uns gestern nicht günstig, aber das Eisenbahneröffnungsfest ist darum doch nicht zu Wasser geworden. Schon in der Frühe verkündeten Kanonen- und Böllerschüsse die Bedeutung des Tages, und die ganze Stadt war mit Ehrenpforten, Kränzen und Fahnen geschmückt. Als besonders schön verziert mag z. B. außer den Bahnhofsgebäuden selbst die Gasfabrik, das K. Forstamtsgebäude, das R. Meebold?sche Haus u.a. genannt werden. Morgens 612 Uhr gieng der erste Zug mit bekränzter Lokomotive und bekränzten Wagen von Heidenheim ab nach Aalen zur Abholung der Festtheilnehmer aus Nördlingen, Bopfingen, Ellwangen, Wasseralfingen u.s.w., der um 10 Uhr in Heidenheim wieder eintraf. Auch alle an der Bahn liegenden Orte waren festlich geschmückt. Die Ankommenden wurden auf dem Bahnhof in Heidenheim mit Musik empfangen, durch die Mitglieder des Festkomites bergrüßt und in die Stadt begleitet. Der Haupzug aber sollte die Gäste aus Stuttgart, Cannstatt, Waiblingen, Kirchheim u. T., Schorndorf, Gmünd, Aalen u.s.f. bringen. Schon unterwegs wurden diese überall begrüßt und mit Musik empfangen, in Oberkochen von Jungfrauen mit Blumensträußen erfreut, in Unterkochen von Fabrikant Ebbingshaus mit Rheinwein etc. erfrischt, in Königsbronn durch die Aufwartung der am Bahnhof aufgestellten (etwa 200) Bergknappen, Veteranen, des Schützenvereins, der Festjungfrauen, und in Schnaitheim durch den Gesang der Schuljugend überrascht. Indessen hatte sich in der Stadt selbst der Festzug geordnet: die Schuljugend mit ihren Lehrern, der Turnverein, ein Zug der Jugendwehr, der Sängerklub, die mit den Farben der Stadt geschmückten Festjungfrauen, Beamte, das Komite und anwesende Gäste, die Schützengesellscha, bis endlich eine Abtheilung der Feuerwehr den Zug schloß. Leider strömte gerade in diesen Stunden der Regen am heigsten, aber es wollte Niemand zurückbleiben, und ganz besonders die Festjungfrauen, welche Blumensträuße überreichen wollten, verdienen für ihre Ausdauer und Aufopferung gelobt zu werden. Der um 12 Uhr ankommende Zug brachte zahlreiche Gäste. Nach geschehener Begrüßung bewegte sich ein ganzer Wald von Regenschirmen der Stadt zu. Es folgten hierauf die Festessen in den Gasthöfen zum Ochsen, zur Traube und zum Schwanen. Zu der mehr offiziellen Festtafel im Ochsen waren von den Fabrikanten Heidenheims mit großer Liberalität zahlreiche Einladungen ergangen. Bald herrschte hier eine heitere, ungezwungene Stimmung, welche besonders durch eine ganze Reihe von Tischreden belebt wurde. Fabrikant K. Zoeppritz brachte Sr. Majestät dem Könige, der Königin und der K. Familie das erste mit Begeisterung aufgenommene Hoch. Staatsrath v. Sigel trank auf das Wohl der Stadt Heidenheim, Minister v. Linden auf das Wohl der Stände des Königreichs. Präsident Weber gedachte des großen deutschen Vaterlandes. Stadtschultheiß Winter gab einen interessanten Ueberblick über die industrielle Entwicklung der Stadt und dankte in herzlicher Weise der Staatsregierung, insbesondere dem Chef des Finanzdepartements, der Eisenbahndirektion, den Technikern, namentlich dem Herrn Baurath Morlok, für ihre Thätigkeit, durch welche in dem kurzen Zeitraume von 15 Monaten die Bahn hergestellt worden ist. Dr. Ammermüller brachte sein Hoch der Industrie der Stadt Heidenheim und des Bezirks und den vielen eißigen Händen in denselben. R.K. Freisleben ließ die anwesenden Mitglieder der Kammer der Abgeordneten, Direktor v. Linden die Fabrikanten Heidenheims, Präzeptor Held von Giengen den künftigen Bahnhof in Giengen leben. Minister v. Linden trank auf die Humanität der leitenden industriellen Häupter und auf die Bildung der Arbeiter. R.K. Hölder gedachte der politischen Seite und trank auf die Industrie des Fortschritts und der Freiheit. Noch viele andere Toaste ernsten und heiteren Inhalts belebten das Mahl. Der weitere Theil des Programms, unsern werthen Gästen die Stadt und den Schloßberg zu zeigen, wurde wegen des leidigen Regens einigermaßen beeintächtigt. Heute ist der Himmel wieder heiterer, was der heutigen Festfahrt nach Wasseralfingen zugutkam. Mit dieser Eröffnung der Eisenbahn ist nun eine neue Epoche für unsere Stadt angebrochen; möge sie in jeder Beziehung eine glückliche seyn.

 

* Heidenheim den 13. Sept. Aus den oben erwähnten Mittheilungen des Herrn Stadtschultheißen Winter über die Entwicklung der hiesigen Industrie und ihre gegenwärtige Bedeutung theilen wir Folgendes mit: Schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts wurde in Heidenheim Leinwand fabrizirt. Jedes Stück wurde auf dem Rathhause visitirt, und die Gemeinde bezog dafür 8 kr. Gebühren. Zwei Uracher Bürger, Stefan Schwan und Wolf Müller, hatten diese Abgabe im Jahr 1655 in Akkord genommen. Auch wurde damals schon Papier in Heidenheim fabrizirt. Die Papierfabrik ist nach dem dreißigjährigen Kriege 25 Jahre auf dem Schutthaufen gelegen, bis sie ein damaliger Ochsenwirth Rau wieder aufbaute. Die herzogliche Regierung räumte ihm das Recht ein, in einem Theile des Landes ausschließlich Hadernlumpen sammeln zu dürfen, wogegen er sich verbindlich machen mußte, für die Kanzleien in Stuttgart Papier zu liefern. Die schon damals bestandene Eisen-Industrie ist nunmehr eingegangen, und die weit und breit berühmt gewesenen Heidenheimer Töpfergeschirre haben nach und nach bis auf ein Minimum dem Eisen- und Steingutgeschirr den Platz geräumt. Nach vielen Schwankungen haben sich die Firmen Hartmann, Meebold, Schiele, Horn hier niedergelassen, und seit deren Auftreten vor etwa 100 Jahren hat sich Heidenheim zu einer Fabrikstadt ausgebildet, namentlich in Leinwandgeweben, welche aber der Baumwolle fast gänzlich weichen mußten. Immer hatte der Arbeiterstand noch gekränkelt, bis endlich in den 20er Jahren viele Bauernhöfe wegen Verarmung der Besitzer stückweise verkau werden mußten. Dieses Unglück der Bauern war ein großes Glück für die armen Weber, indem die letzteren sich wohlfeile Grundstücke kaufen konnten, und seitdem ist eine glückliche Mischung von Industrie und Landwirthscha eingetreten, bei welcher sich Arbeiter und Fabrikanten wohlbefinden. Das einzige Haus Zoeppritz verarbeitet gegenwärtig mehr, als die Hälfte der Wolle, die auf den Wollmarkt in Kirchheim zum Verkauf gebracht wird. Außer den mechanischen Baumwollwebstühlen sind 3000 Handstühle oder 14 pCt. aller Hand-Webstühle des Landes, und an mechanischen Wollwebstühlen 68 pCt. des ganzen Landes im Heidenheimer Bezirk aufgestellt. Heidenheim hat jetzt 18 Dampfmaschinen, die früher mit Holz geheizt wurden. Der Preis desselben würde aber durch fernere Verwendung im Dienst der Dampfmaschinen zuletzt höher werden, als in Stuttgart, trotzdem daß im hiesigen Oberamt 61,000 Morgen Wald gelegen sind. Daher werden jetzt Steinkohlen gebrannt. Der jährliche Verbrauch davon beträgt schon jetzt mehr als 150,000 Ctr. Im Jahr 1824 war das Oberamt Heidenheim in der Gewerbesteuer der 16. und hat sich jetzt bis zum 8. Rang emporgearbeitet. In der Gebäudesteuer ist jetzt Heidenheim der 5. oder 6. Bezirk, früher vielleicht der 18.- (Welche Bedeutung der Eröffnung dieser Bahnstrecke auch anderwärts beigelegt wird, geht daraus hervor, daß die Weingärtner von Untertürkheim prächtige Trauben verschiedener Sorten aus ihren Weinbergen zum Gruß und als Zeichen des Dankes für einen weiteren Absatzweg des Weins geschickt hatten).